Bebenhausen (Nr.87)

 

„Geistliche Musik in der Klosterkirche; Sonntag, 9.Juli 2017: „Von Bach bis   Brasilien“  Werke von Bach, Villa-Lobos u.a.  Mateus Dela Fonte (Gitarre),

Manfred Harm (Liturg)

Das Kloster Bebenhausen ‚ vor den Toren Tübingens‘ ist zum Glück in seiner Expansion früh gebremst worden und ist für mich ein Ort tiefen Friedens. Es könnte auch der Ort für eine Reihe von romantischen Kloster- Romanen in der Nachfolge von Umberto Ecos „Der Name der Rose “ sein: An Stelle der Benediktiner waren es hier die Zisterzienser. Ein bisschen von deren strengen Ordensregel meint man noch zu spüren. Sichtbar ist die für ihre Schlichtheit und Präzision berühmte Baukunst. Der als Zugeständnis gedachte Dachreiter der Klosterkirche  ist hier allerdings zu Beginn des  14.Jahrhunderts zu einem betörend eleganten und leichten Vierungsturm mutiert und das ebenfalls zu dieser Zeit entstandene Westfenster hat mit Strenge nichts mehr zu tun. Und überhaupt war der ehemals  asketische Reformorden längst wohlhabend und auch mächtig geworden. Eine Zeitlang soll ihm sogar die Stadt Tübingen gehört haben.

Ein Gitarrenkonzert vor vierzehn Tagen lockte mich und meine Frau ins Kloster. Wir bummelten gemütlich unter der Wehrmauer zum Fischteich, hinauf zum Wehrgang, Friedhof  und ins Kräutergärtlein. Für mich ist es immer wieder ein merkwürdiges Gefühl das amputierte Langhaus zu betreten .Ich ergänze in Gedanken die in der Reformation abgerissenen Joche und versuche mir den eindrucksvollen romanischen Bau vorzustellen. Wir fanden Sitzplätze in der Mitte mit Blick auf die herzerfrischend rustikale und stark farbig gefasste Kanzel im Stil der deutschen Renaissance. Ich fand es spannend, über uns einen romanischen ‚Klötzchen-Fries‘ zu entdecken, der vor der Kanzel abbrach, um dann doch mit wesentlich größeren Holz-Klötzchen unter der Brüstung der Kanzel weitergeführt zu werden.  Wie weit das bewusst gestaltet wurde oder, nicht spielte für mich in dem Moment keine große Rolle für mich.(Skizze 1).

Inzwischen betrat ein junger Mann mit seiner Gitarre durchs Seitenschiff aus Richtung des Kreuzgangs die Kirche und nahm vor uns Besuchern auf seinem Stuhl Platz. Natürlich hatte er für seinen linken Fuß die übliche Stütze dabei (das zum Verständnis der Skizzen).  Seitdem ich den alten Segovia im Konzert erlebt habe und nach früher Flamenco-Begeisterung habe ich eine große Liebe zu diesem Instrument. Von meiner Musikalität würde ich behaupten, daß sie als Freude da ist, als Kennerschaft aber nicht. Drei qualvolle Jahre Violinunterricht waren keine gute Basis. Aber jeder musikähnliche Lärm zieht mich magisch an. Jedenfalls war ich hin und weg und war mit einem kleineren Teil des Publikums, das verhalten zu klatschen begann, beleidigt, als ein ernster Mann von schräg oben hinter dem Musiker darum bat, bis zum Ende der Veranstaltung nicht mehr zu applaudieren. Das war der Liturg. Zugegebenerweise habe ich noch nie von einem solchen gehört. Aber es war ja „Geistliche Musik“ angekündigt. Was er las, waren Psalmen und vertraute Texte. Stellenweise schien es mir, als wenn die leidenschaftlichen, spanischen und brasilianischen Rhytmen und Läufe geradezu die fromme  Feierlichkeit unterwanderten. In der Skizze 2  habe ich versucht, der von mir empfundenen Diskrepanz angemessen dezent Ausdruck zu verleihen. Das Schlussstück von Joao Pernambuco und die Zugabe vor dem großen Chorfenster mit seinem eleganten Maßwerk (Skizze 3) erhoben sich wunderbar unverschämt über die protestantisch-zisterzensische Askese und verschafften mir ein seltenes synästhetisches Erlebnis. Ich mag es eben, wenn es in der „Kultur“ knistert, Risse und Widersprühe erlebbar werden.