„Doppelpunkt:“(art77blog Nr.201)

„Doppelpunkt:Berlin“ 2019; Wachsstifte, Collage©️von Criegern 2019

Ein sonniger Morgen in der Kollwitzstrasse. Die Menschen strömen vom Prenzlauer Berg Richtung Senefelder Platz. In der Meierei sitzen die ersten Yuppies mit der Tasse Kaffee neben sich, hinter ihrem Laptop. Mich stört ein Mann, der inmitten des Getümmels unbeeindruckt auf dem Bürgersteig steht und dramatisch ins Mobiltelefon diktiert: „Doppelpunkt: So war es 1945!“ In seiner hier verpflichtenden „casual“ Uniform, mit der peinlich gelben Brille weit vorn auf der Nase, arbeitet er an seinem aktuellen Buch, oder diktiert mindestens sein „Morgen- briefing“. Er gehört zu keinem der Frühstücks -Tempel und vielleicht liegt seine Wohnung in einem Funkloch oder er darf zuhause nicht telefonieren. Was weiß ich, könnte mir ja auch egal sein. Aber als ich in der vergangenen Nacht nicht schlafen konnte und überlegte, was ich nach fünf wunderbaren Berlin-Tagen im morgen anstehenden ‚Post‘ schreiben könnte, war es immer wieder dieser Mann, zu dem meine Gedanken zurückkehrten. Also gut! Aber ich hatte ja auch kein Beitragsbild! Im Halbschlaf-/ Halbwach-Zustand tauchte als erstes eine expressionistisch-karikaturistische Zeichnung, dann eine Collage auf. In dieser Phase rief ich mir die oft gerühmte Leichtigkeit, Humor und Verspieltheit in Erinnerung, mit denen ich mich schwierigen Themen nähern soll. Als ich mich dann heute Nachmittag an das Bild machte, kam eine Mischung aus diesen Komponenten heraus. So wenig ich weiß warum mich dieser Mann störte, so wenig kann ich mein Bild lesen. Wieder einmal verlasse ich mich auf das # Zusammenwirken von Text und Bild.

English Summary
Returning from a Berlin-trip I wanted to write my weekly post on art77blog about the things we have learned there. I had a lousy, almost sleepless night. In a kind of somnambule awareness I remembered a man who used his mobile phone to dictate a book-text or his morning briefing. I didn’t like him.This observation became more and more the central issue of my Berlin-post. In this sleepless night I imagined a few designs for a blog-picture: cartoon, collage and exaggerated colours in simple forms. When I realised this picture in the afternoon it was definitely a blend of these designs.

„Auf Augenhöhe“ (art77blog.axel-von-Criegern.de Nr 200)

Entwürfe für die Ausstellung #„Wie geht Kunst?“ in der Kulturhalle und im Künstlerbund Tübingen (ab 18.10.).

Gestern kam Maks Dannecker vorbei um als „ambulante #Kuratorin“ meine aktuellen Planungen der Ausstellung „Wie geht Kunst?“ zu diskutieren. Abschließend hob sie hervor, dass alle Exponate „#auf Augenhöhe“ wären. Eine hier ungewöhnliche Formulierung. Es war deutlich, dass sie nicht die Hängung auf Augenhöhe meinte, sondern das Vermeiden jeder Hierarchie oder Hervorhebung einer einzelnen Arbeit. Tatsächlich präsentiere ich die Arbeiten in gleichwertigen Räumen in Form gleichwertiger #‚cluster‘. Eigentlich sind es 6 Ausstellungen (Cluster) in 2 Räumen. Die in der #Künstlerbund-Galerie gezeigten Arbeiten zu #art77blog.axel-von-criegern.de sind und waren der Anstoß für das Thema der gesamten Ausstellung. Das Medium und der wöchentliche Rhythmus des blogs lassen keine Ungleichheit zu. Bei der #Kulturhalle Tübingen ging es darum mehr als 60 Jahre Kunst-Leben zu vermitteln ohne Arbeiten #chronologisch aneinander zu reihen oder nachträglich eine so nicht erlebte Dynamik und Bewertung zu konstruieren. In den 6 Clustern dominierten Fragen der Präsentation. Sie unterstützt die die Objekte verbindende, jeweilige Thematik : Theorie in unterschiedlichen Ausformungen/ Formkonstanz und Themenbreite bei Holz/ Metall: Von der Fläche zur dritten Dimension in verschiedenen Projekten/ Das Thema ‚Bild‘ in seiner vielfältigen Ausprägung: #Petersburger Hängung/ #Jan Steen (1626-1679) und die breite #ikonologische und künstlerische Auseinandersetzung. Zurück zur „Augenhöhe“. Sie ist auf keinen Fall mit formaler Angleichung ohne thematische Differenzierung zu verwechseln . Sie funktioniert nur als nachvollziehbare inhaltliche Entsprechung. In diesem Sinne habe ich die Feststellung der „Augenhöhe“ positiv verstanden.

Das Thema ‚Augenhöhe‘ als Prinzip des blogs lässt sich im Buchformat besonders deutlich erkennen:
art77blog.axel-von-criegern: Wie geht Kunst?, edition cantz, 2019.

English Summary
A friend characterized my exhibition preparations as „at eye level“. She didn’t mean hanging pictures on eye level but used it as a metaphor. She noticed that I tried to provide ‚equal rights‘ for everything in the show. Maybe that the concept to organize the exhibition in „clusters“ supports this effect of „at eye level“
.

„Wie geht Kunst?“ (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.199)

Erscheint Ende August in der edition cantz : #art77blog.axel-von-criegern.de: „Wie geht Kunst?“

Als ich für die Programmplanung der Kulturhalle Tübingen einer im Oktober/November dieses Jahres stattfindenden Ausstellung einen Namen geben sollte, schlug ich keck „lebenslänglich“ vor. Dabei hatte ich keine große Retrospektive im Kopf, was bei einer Geburtstags-Ausstellung nahe gelegen hätte, sondern meine Bindung an die Kunst seit der Schulzeit. Im Zusammenhang mit meiner Arbeit am art77blog und einer Buchveröffentlichung (s. Foto) änderte ich den Namen in „Wie geht Kunst?“ Dieser neue Titel geht entschieden einen Schritt weiter. Natürlich können Antworten auf diese Frage nur exemplarisch und aus der Sicht einzelner Kunst-Menschen gegeben werden. Aber da gibt es immer einen heißen Kern: Wir bestehen auf unserer Selbstbestimmung und sind doch überzeugt, dass es Minimal-Regeln für Kunst gibt. Diese Spannung ist wesentlich für die moderne Kunst. Sie ist der ‚Spielraum‘ nicht nur für die Kunst- Produzent*en, sondern auch für Betrachter*, Galerist*en, Kunsthändler*, Kurator*en und Kritiker*. Aus dieser Spannung heraus entstehen weltweit täglich Kunstwerke. Da kann man schon einmal fragen „Wie geht Kunst?“

English Summary
Asked to name a coming up one man show I chose the title „ lifelong“. I thought playing with ‚life punishment‘ matches the chaines of artists bound to their passion. Looking back to my reflections in „art77blog“ I decided to call it „How does art work?“. Of course it is a mockery, because we know that there is no answer to this stupid question. But I am influenced by my work with „art77blog“ and its weekly afforded reflections. And I realize how much we are bound to the never ending challenge of bringing together our ‚selves‘, the call for selfdestination
and the unstable esthetic laws.
Even the artists have to answer to this question- by their work.

Kreativer Fluchtversuch (art77blog. axel-von-criegern.de Nr.198)

„Alb“. Fingerzeichnung auf Touch Screen (iPhone) Fehldruck©️Axel von Criegern 2019

Ich berichte über einen Fall: Der Proband (ich) gerät an einem Sommerabend mit Freunden, der entspannt verlaufen sollte, beim Thema #Patientenverfügung in eine kaum zu unterdrückende Nervosität. Unter Missachtung aller Höflichkeitsregeln beginnt er mit dem #Finger auf seinem iPhone an der neben ihm sitzenden Freundin (Ärztin) vorbei die Alb-Landschaft zu zeichnen. Er handelt wie unter Zwang , verbunden mit der Hoffnung, dadurch der als ungut empfundenen Situation entkommen zu können.
Nun bin ich weder #Psychiater noch #Hirnforscher, sondern Künstler. Das Programm „My Brushes“ machte mir Probleme, weil ich es längere Zeit nicht benutzt hatte. Unter den beschriebenen Umständen fehlte auch die Ruhe für Versuche. Meine Aufmerksamkeit galt dem Himmel, der sich in der Dämmerung auflösenden Silhouette der Schwäbischen Alb und den Baumkronen im Vordergrund. Der helle Streifen links ist ein Schornstein. Das Ganze ging sehr rasch, um möglichst unbemerkt zu bleiben. Entsprechend blieb die Zeichnung roh und stellte mich keineswegs zufrieden.
Zuhause änderte sich diese Wahrnehmung. Die Skizze hatte ihren Reiz. Was mir übrigens beim Zeichnen nicht gelungen war, die Baumkronen zu strukturieren, erledigte der Drucker. Das Glanzpapier, das ich verwendete, vertrug sich nicht omit dem Grün des Druckers. Was hier so gekonnt gepunktet erscheint, ist „geronnene“ Druckerfarbe.

English Summary
It wasn‘t a pleasant subject we were talking about with friends on a mild summer evening. Both were doctors and we discussed the necessity of a precise and detailed formulated order in case of an unexpected disease or incident. I became terrible nervous and tried to calm down drawing with a fingertip on the screen of my iPhone. I did it very hastily, well aware of my strange behaviour. Later at home I found the emergency „rubbish“ not so bad.
„Alb“. Fingerzeichnung auf Touch Screen.(Original)©️Axel von Criegern,2019

Tannhäusers „Comeback“ (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.197)

Tannhäusers „Comeback“ Aquarell , Fineliner©️Axel von Criegern,2019
Neulich Abend traf mich die Fernseh-Übertagung der Bayreuther Inszenierung von Wagners „Tannhäuser“ (3sat) durch #Tobias Katzer mit voller Wucht. Der staubige Samt-Wagner und der Bayreuther Mythen-Kitsch wurden erfrischend durchlüftet und irgendwie glaubhaft in unsere Zeit versetzt: Der Meistersänger taucht mit absurder orangener Perücke und Clownsschminke mit Venus im silbern funkelnden Einteiler, umwerfender Dragqueen und einem gealterten Blechtrommler in einem klapprigen Citroen-Transporter vor dem Festspielhaus auf. Der Venusberg muss eine Art von „Ballermann“ gewesen sein! Beschwingt gehe ich in der Pause an meinen Zeichentisch, beginne mit dem Perücken-Orange und einer Reihe von Silberknöpfen auf schwarzem Samt und ein paar Strichen. Später tauchen wie flüchtige Erinnerungen Elemente von Kostümen und Bühne, Symbole und Atmosphäre auf, die sich zu einem Bild verdichten. Meine Inszenierung ist viel weniger gewagt, aber etwas vom amüsierten Staunen wiedergebend! Katzers Inszenierung traf auf einen Nerv, der schon seit meinen #Jan Steen -Aktualisierungen der neunziger Jahre ‚dauergereizt‘ ist. Am Tag zuvor war ich bei der Eröffnung der von #Nicole Fritz kuratierten, prächtigen Ausstellung „Comeback“ in der #Tübinger Kunsthalle mit erstklassigen Beispielen der aktuellen künstlerischen Aufarbeitung kunstgeschichtlicher Ikonen gewesen. Um mich zu vergewissern und zu vertiefen bin ich am nächsten Tag noch einmal zum Tübinger „Hügel“ hinaufgestiegen und dann las ich noch von Simon Stones Inszenierung von Cherubinis Oper „Medee‘ “ in Salzburg , die auch fulminant sein muss. Plötzlich fühlte ich mich selbst mit meinen #Jan Steen-Studien up to date, getragen von einer Welle des Wohlbefindens und der Bestätigung, zwar nicht „coming back“, aber „coming home“.

English Summary
Watching the actual interpretation of Wagners „Tannhäuser“ by the young Tobias Katzer on TV was overwhelming! It was a wonderful burlesque far away from the earlier Wagner- Mysteries on the „Hügel“ of Bayreuth. I was so high, that I started a watercolour- sketch in an interval.