Vom Altersporträt zur Kunst (art77blog.axel-von-criegern.de,Nr.261)

„25.10.2020“ Aquarell ©️Axel von Criegern 2020

Bei der Diskussion des Altersstils (art77blog Nr.260) blieb die Stelle des Alterskünstlers offen. Nun betrachte ich es als meine Chance und Aufgabe, die Gedanken, die meine künstlerischen Aktivitäten auslösen und begleiten, öffentlich zu machen.
Also: „wie hältst du‘s mit dem Selbstporträt eines 81-jährigen und deiner Kunst?“ In einem Versuch über 5 Tage ging es an die Substanz.

„26.10.20“ Aquarell, ©️Axel von Criegern 2020

Um bei meiner Untersuchung wenigstens ein bisschen Orientierung zu haben, baute ich aus einem auf Augenhöhe aufgehängten Spiegel meine Station so auf, dass das Tageslicht immer von derselben Seite einfiel. Schon am 2.Tag mit dem zweiten Aquarell störte mich das Flächige. Wie sollte ich da „Alter“ beobachten , bzw darstellen? Beim Blättern in Kunstgeschichts-Bänden wurde deutlich, dass immer das Körperlich-Räumliche für altersspezifische Merkmale eingesetzt worden war.

„26.10.20“ Bleistift,©️Axel von Criegern 2020

Die kleine Zeichnung gab mir eine gewisse Sicherheit, ließ allerdings die Frage offen, wie es mit dem Aquarellieren weitergehen sollte.

„27.10.20“ Aquarell ©️Axel von Criegern 2020

Auf der dem Fenster zugewandten Seite versuchte ich am nächsten Tag wenigsten einige Alters-„Signaturen“ unterzubringen. Gegenständlichkeit und Räumlichkeit gehen in den Farbflächen auf.

„28.10.20 Aquarell ,©️Axel von Criegern 2020

Beim nächsten Aquarell versuchte ich meine Realismus-Erkenntnisse in meine Möglichkeiten umzusetzen. Das Nachmittagslicht war noch etwas heller als bei den ersten drei Bildern. Das Gesicht fällt durch die Perspektive länger als in Wirlichkeit aus.

„29.10.20“ Aquarell ©️Axel von Criegern 2020

Letzter Tag. Ich hatte meinen Frieden wieder gefunden. Meine Aquarelltechnik taugt nicht für Realismus, sondern entfaltet sich in der Fläche. Hier liegt meine „ Kunst“ des Aquarells. Und was meine Untersuchung angeht: in der bestmöglichen Vereinbarkeit dieser Darstellung mit abbildenden Zeichen.
Für mich war das Ganze ein Lehrstück dafür, dass es bei der Kunst immer um Kunst geht und dass unter dem Leichten immer Arbeit, wenn nicht gar Qualen liegen

. Von den Römern stammt der heute völlig unpassende Spruch „Per aspera ad astra“- durch das Rauhe und Harte zur Leichtigkeit und Schönheit. Heute heißt das bestenfalls: „da musste durch“!

English Summary

Paging through centuries of artists selfportraits you soon realize, that we know very little about their reasons, occasions, necessities, feelings. But basically it were probably the same reasons which made me design 5 watercolor paintings in 5 following days: curiosity and the chance to study and perform free, just for yourself. What I didn’t expect was the upcoming battle between the intention to explore and my „art“. I hope that you can watch the drama of painting just a selfportrait of an old artist!

Der alternde Künstler als ‚ansehnliche Ruine‘.(art77blog.axel-von-criegern.de Nr.260)

„Eine ansehnliche Ruine“, Acryl auf Blech, 50x64cm,©️Axel von Criegern,2020

Natürlich muss ich dabei grinsen: Der Bildtitel lässt sich auch biologisch auf einen 81 -jährigen anwenden. „Ansehnlich“ lässt sich als medizinisch-mitteleuropäisch-gesellschaftliche Leistung übersetzen und „ Ruine“ als balancierter Zustand des biologischen Verfalls.
Künstlerisch wollte ich nach einer Phase des Überdrusses meinen mehr als #20-jährigen Umgang mit Blech durch eine „wilde“ Bemalung in Frage stellen-allerdings ohne die geringste Zielvorstellung. Auf halber Strecke (Fläche) sah ich das Desaster auf mich zu kommen. Mein Grundmotiv für meine Blecharbeiten, dreidimensionale Bilder zu schaffen und Dimensionen zu durchwandern würde durch das Aufschneiden der „wilden“ Malerei in einen ästhetischen Abgrund führen-weder Fisch noch Fleisch.
Wenn man den #Theoretikern des künstlerischen Spät-und Alterswerks Glauben schenken will, hänge ich noch zu sehr an Vorstellungen des fertigen, harmonisch ausgewogenen, gefälligen Werkes. Einem Alterswerk angemessen, genial und anständig wäre es die Arbeit ungelöst, fragmentarisch, letztlich „unschön“ zu belassen. Zu meinem (geistig-seelischen) Glück geht mir aber „Genie“ ganz ab und „anständig“ war von Jugend an ein Reizwort. „I did it my way“. Also versuchte ich mit meiner Genie-untauglichen Harmonie-Bedürftigkeit den Schritt in den Abgrund abzuwenden. Ich mobilisierte ein zweites meiner künstlerischen Grundmotive, nämlich das Gitter oder Raster. Es lohnt die Schritte der Bändigung durch das Raster, bzw. Gitter zu studieren. Hier ereignet sich das eigentliche Drama des Blech-Bildes und nicht in der ‚wilden‘ Malerei.
Als ich vorhin meinen Freund Don Quichotte (Buchhändler und Philosoph) von meinen Überlegungen zur Alters-Ästhetik berichtete, meinte er, diese Distanzierung sei doch ein wichtiger Anfang. Aber von verbleibender Zeit war nicht die Rede….

# meine wichtigste Quelle war Landkammer, Joachim: „A portrait of the artists as old (wo)men. Spätstile: der alternde Künstler und die alternde Gesellschaft (auf die Musik bezogen), in: Jansen,Priddat,Stehr (Hrsg.): Demographie: Bewegungen einer Gesellschaft im Ruhestand; multidisziplinäre Perspektiven zur Demographiefolgenforschung. Wiesbaden, VS-Verl. für Sozialwissenschaften,2005, S. 275-322.

#Vergl. Axel von Criegern „…alles Blech!“,Tübingen 2014

#Axel von Criegern: Dramaturgie eines Bildes. Auseinandersetzung mit Jan Steen (1626-1679) „Abfahrt von einem Wirtshaus“(Staatsgalerie Stuttgart),Giessen, Tübimgen 2004

#Axel von Criegern: Meine Bilder. Wasmuth 2009

English Summary

Öl in Is there something special and remarkable in the works of old artist, composers, authors? This is an important item of interdisciplinary discussion. When I had the feeling of a stand still in my daily artistic business this questions touched me quite personally. Should I continue my metal work as usual? I decided to try a „wild“ painting on an aluminium sheet. When I tried to cut the metal and transform it in a relief it was a dead end . Cuts and paint didn’t come together. From a very interesting paper (look above Landkammer) I learned that unfinished, works left ; (think of Michelangelo’s Pieta’ Rondanini) in an almost rude style are typically for old artists. Although I am now 81 I couldn’t stand that and finished the painted relief employing a different style for the rest of it (the grid). So I abandoned the chance to become a genius. But maybe I have some more days left to try it again!

„…will sich selbst mitteilen, in Kontakt treten.“(art77blog.axel-von-criegern.deNr.259)

„Instagramable“. Acryl auf Aquarell-Papier; 30c22cm©️von Criegern 2020

Beim ‚Stöbern‘ in Instagram-und Youtube-Kunst-Videos fiel mir auf, wieviele der Angebote auf spezielle Techniken und Effekte aus sind. Das spielte bei meiner Frage „Wie geht Kunst?“ eine völlig untergeordnete Rolle. Aber meine Neugierde und Spieltrieb waren erwacht. Auf einem Aquarell-Block verzog ich mit einer Pappe Schichten hochpigmentierte Airbrush-Farbe. Da ich ja keinen Trick und Effekt bieten konnte, legte ich einigermaßen unzufrieden Schicht auf Schicht. Auch Versuche mit schwarzen Marker-Linien Akzente zu setzen, retteten die Sache nicht. In der letzten Trockenphase, scrollte ich durch FB und Insta und las die gescannte Rezension der Ausstellung einer viel beachteten Kollegin. Ausführlich waren die technischen Verfahren beschrieben. Als abschließende Elemente wurden Textzeilen in Schablonen-Schrift hervorgehoben. Hierfür würde ein befreundeter Dichter extra schreiben. Mir waren auf den Bildern Schriftzeichen als gliedernde Elemente aufgefallen, ohne dass ich Ihnen große Beachtung geschenkt hätte. Aber die Hervorhebung in der Rezension löste die Vorstellung aus, dass Schrift mein Bild retten könnte. Also legte ich weiße Schriftzeichen über das Ganze. Wie sehr ich mich bei der ganzen Sache „social medial“ verhielt, bzw. die Möglichkeiten von FB und Instagram nutzte, wurde mir anschließend bei der Lektüre eines Beitrags von #Valentin Wornis in der Süddeutschen Zeitung vom 10./11.Oktober2020 klar. Unter dem Titel „Zu schön um wahr zu sein“ setzte er sich mit Instagram auseinander. Mir gefiel die ausgewogene Darstellung. Nicht zuletzt deswegen, weil ich mein Verhalten bei besagter Arbeit und meinen Blog als durchaus aktuell verstehen konnte:„Wer es [Instagram als Werkzeug zur Kommunikation] nutzt, will erleben,was andere tun , erschaffen und für wichtig erachten. Will sich selbst mitteilen, in Kontakt treten. Und natürlich Likes sammeln.“

English Summary

For many intellectuals is Social media-bashing an almost required attitude. I found it interesting how much art77blog and the moves on Facebook and Instagram influenced my painting. And that happened obviously on various „channels“: Looking ,reading,acting. A good experience!

Royal flush oder der springende Punkt(art77blog Nr.258)

„royal flush“; Acryl, Marker ©️2020

Warum „royal flush“ und warum „springender Punkt“? Gestern kehrte ich nach einer Runde zu meinen Freunden im Viertel gut gelaunt ins Atelier zurück. Es juckte mich etwas Neues für „blog77art“ zu machen. Der Tag war nicht so gut gelaufen und ich wollte nicht irgendetwas machen. Das Radio einschalten hilft immer. Ein Jazz-Stück wird gespielt. Der Rhythmus fährt mir so in die Knochen, dass ich zu einem dicken, hautfarbenen Molotow-Stift greife und ein Staccato von Rechtecken auf das Papier klopfe. Schon in der ersten Reihe verschiebt sich die Richtung der Melodie folgend und ab da wirken die optische Kontrolle und die Bildästhetik mit. Am Ende wirkte das Blatt schön rhythmisch aber das Rosa war nicht befriedigend. Das galt auch für die gelben Ergänzungen. Die schwarzen Akzente gliederten das Rosa neu und griffen in das „Staccato“ bildhaft ein.
Ganz im Sinne meines #Dachthemas „Wie geht Kunst?“ war der Impuls des Jazz-Stücks, dessen Titel „royal flush“ war (wie ich gerade noch der Ansage,allerdings ohne weitere Informationen, entnahm) auffallend gewesen.

Bei diesen Überlegungen schlich sich der Ausdruck „der springende Punkt“ ein. In der Wikipedia fand ich den Hinweis auf Aristoteles, der in seiner „ historia animalium“ beim Ausbrüten eines Vogeleis nach kurzer Zeit einen ‚springenden‘ Punkt im Eigelb entdeckte und darin erste Lebenszeichen, einer Herztätigkeit vermutete. Solche ‚springenden Punkte‘ kennen wahrscheinlich alle Künstler* und sicher in vielen Erscheinungsformen. Bei mir hat-wieder einmal- der Rhythmus gezündet.

#zum Thema Musik habe ich schon einige Beiträge im art77blog gepostet: z.B. Nr.223,Nr.227,Nr.246

#art77blog.axel-von-criegern.de: „Wie geht Kunst?“ edition cantz,2019

English Summary

I presume that every artist knows ‚trigger points‘, that help to start a work. In my case was it a broadcasted jazz-title „royal flush“, a word that comes from poker. With a fat flesh color acrylic marker I started ‚ dancing‘ on a sheet of drawing paper. The result was nice, but pale. So I took black marker and changed the style of the design. Definitely is the straight rhythm gone and new, picturesque or dramatic elements became predominant. In german is a saying „ der springende Punkt“. I think it means in english „trigger point“. Already Aristotle talks in his „historia animalium“ about a vibrating point in the yolk of bird eggs soon after the birds begin to breed. He means that this is the heart beat, the very beginning of life. I found this a pathetic metaphor for the deciding point of beginning a new art work! Isn’t it?

„Komplexität“ (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.257)

O.T. Zinkblech, Acryl ©️2020
O.T. (Rückseite)

Im Blog-Post der vergangenen Woche (Nr.256) habe ich mich auf ein Buch des Soziologen Dirk Baecker bezogen. Heute berichte ich von einer Anregung aus dem Kapitel „Komplexität, weder Kausalität noch Zufall.“ (s.61-75). Zusammengefasst benennt der Autor mit „Komplexität“ die „Kulturform“ der „nächste(n) Gesellschaft“. Komplexität wird die „Grenze“ bei „tribalen“ Gesellschaften, den „Telos“ der „antiken“ Gesellschaft und das „Gleichgewicht“ in der „modernen“ Gesellschaft ablösen.
Bei mir schlug diese Theorie in einen ganz praktischen Rahmen um, als ich mir die Bedeutung des Internets und speziell WordPress, Facebook und Instagram für meine künstlerische Aktivität klarmachte. Seit 2016 als ich „art77blog“ begann, wurden diese Medien / Programme zur kritischen Instanz, Inspiration und Antrieb. Das klingt bombastisch, entspricht aber einer seit 4 Jahren im täglichen „Kampf“ sich entwickelnden Realität. Man muss sich mit den z.T. sehr fremden kulturellen Hintergründen, Medien und Stilen auseinandersetzen. Ebenso mit sehr unterschiedlichen Zielen wie der Werbung für die eigene Person, für eine Galerie, Ausstellung, Presseberichten mit eigenem Bezug, Warenwerbung und -verkauf, Werkpräsentation quer durch Entstehungszeiten und Verwendung, Art consulting, Interessen-Gruppen u. v. m. Man überlebt das nicht,wenn man nicht bereit ist die eigene Arbeit täglich in diesen Kontext zu stellen: offen, ehrlich, flexibel, kritisch in jede Richung, und bereit die eigene Leistung als Beitrag zur „Komplexität“ als neuer Kulturform zu verstehen.

English Summary

Last week (art77blog Nr.256) I discussed the digital ‚gap‘ .Following the author Dirk Baecker I found the use of the word ‚complexity‘ fascinating. It is supposed to be the cultural pattern („Kulturform“) for the ‚next‘ society. Personally for me are the social media already a model for this upcoming culture. You show your work in a panopticon of fotographic images from different times, continents-all materials, techniques, concepts, intentions, dimensions. There is no secret, hidden concept, it’s just everything. No criticism, debate,ranking or evaluation. I find ths „egalite‘ “and „liberte‘ “ fascinating, amusing and sometimes annoying, but how about ‚fraternite‘ “ as basic human value? This will be a quite different chapter.