„Identitätsspiele“ (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.295)

Wir kennen die uralte Sinnfrage: „Wozu ist das gut, was ich mache?“ Mich hat diese Frage immer in kleine, mittlere und grosse Krisen gestürzt. Natürlich wollte ich mit 16 aus der Schule raus, mit 18 zum Ballett und mit 20 irritierte mich eine Frau so sehr, dass ich das Akademie-Studium für 18 Monate unterbrach um mindestens General zu werden.

Vor ein paar Tagen passierte mir so etwas in abgeschwächter Form beim Aufwachen. „Ist die Metallarbeit meine Bestimmung? Bild: glänzende Reliefs, mit Draht-Ösen zu einem Metall-Teppich verbunden. Dann dämmerte ich wohl wieder ein.Meine ewige Liebe Holz tauchte auf. Das passende Bild waren kleine, polierte Holzskulpturen. Auch die miteinander verbunden. Und noch mal holte mich der Schlaf zurück. Bilder meines Ur -Themas, das Raster, das bis in die Akademie-Zeit zurückreicht, tauchten als nächste auf. Sie gingen nahtlos in kleine farbige Zeichnungen über, die mir sehr vertraut vorkamen. Zunehmend wach erinnerte ich mich daran, dass ich seit 2 Wochen jeden Abend, begleitend zum Fernsehen, auf einem 15x15cm kleinen Block, farbige Zeichnungen angefertigt habe. Diese Bildchen zu einem Raster gordnet, das wärs!
Nach dem Frühstück suchte ich die kleinen Formate zusammen und legte sie auf einem schwarzen Bogen Papier aus. Noch 2 Stück fehlten zu einem 9er- Raster. Die beiden nächsten Abende waren gesichert.Jetzt tauchten völlig neue Aspekte auf: Welche Bilder sollten nebeneinander, unter-und übereinander angeordnet werden? Gibt das Ganze wieder ein Bild? Wie groß müssen, dürfen die Abstände sein? Jetzt kam dasSpielkind der Kunst“ ( Peter Prange im Vorwort meines 2010 bei Wasmuth erschienenen Buchs „Meine Bilder“) in Fahrt. Das wars doch!
Mag das mit und in der Kunst Spielen ein bisschen sehr bescheiden für einen fast 82-jährigen klingen, trifft es doch meinen Kern. Es gibt nichts schöneres als mit Schönem ( nicht zu verwechseln mit den Schönen) zu spielen! Hier fand ich und finde ich immer meine Identität.

English Summary

„Identity“ is for an artist close to „self consciousness“. You might say „OK, thats true“. But I don‘ know any other profession, where this identity is in the same way fragile and vulnerable as for artists. Everything we do, perform, show or utter is „total“ has to be true. There are no empty forms, no pretty talking. Everything counts and is serious- even if it looks llike „playing around“.

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Michelangelo und die Sache mit dem Wasser (art77blog Nr. 294)

Ich kann meinen Mahagony-Block nicht ewig wie ein Relief bearbeiten! Ich muss um die Ecken und das bedeutet in Richtung Rundumplastik weiterdenken. Nun ist das nicht gerade ein neues Problem und auch nicht das einzige beim Bearbeiten eines Blocks. Bisher war für mich die organische Methode Henry Moors wegbestimmend, aber an diesem Block empfand ich die eine bearbeitete Seite als Einbahnstraße. Ich erinnerte mich an das Bild des sinkenden Wasserspiegels, der die Skulptur sichtbar werden lässt. Das war doch Michelangelo?! Mit wachsender Anspannung habe ich in den vergangenen Tagen in meinen Büchern eine Quelle gesucht. Schließlich gelangte ich im Internet auf Umwegen zu einem Ausstellungs-Katalog, der nicht nur meine Fage beantwortete, sondern zusätzlich mir völlig neue Aspekte brachte: „Michelangelo Schultern: Last, Kraft, Bild in Skulptur und Fotografie.“ Gegenstand waren Arbeiten von Dietrich Heller, Emma Critchley und Althar Jabe (Gerhard Marcks-Haus, Bremen 2013). Der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses, Arie Hartog klärt in der knapp gehaltenen Einführung u.a. auch meine Frage. Die Wasser-Metapher stammt nicht von Michelangelo, sondern von Vasari, der in seinen „Viten“ mit diesem Bild die Arbeitsweise Michelangelos beschreibt. Michelangelo bearbeitete auch keineswegs nur einen Block von einer Seite. Dennoch hielt sich die falsche Zuschreibung unterschwellig bis heute. Eine Rolle spielte dabei auch Johann Joachim Winckelmann mit seinen „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“, Dresden 1755). Was gilt ist die Tatsache, dass Michelangelos Skulpturen immer eine Hauptansicht haben, die das Thema deutlich präsentiert. Andere Ansichten der Figur können für uns heute spannender sein, lassen aber das Thema nicht erkennen.

English Summary

With my actual sculptural work I felt threatened by a ‚ dead end‘. The material is a heavy, hard edge mahagony block. I started with one side. It was like looking for a perfect beginning, working unusually carefully. In the last days I realized that 3 more sides, lid and bottom are waiting. I remembered a metaphor that Giorgio Vasary used for Michelangelos way of sculpturing. He spoke of the sculpture that emerges in water. Michelangelo didn’t work so, but it’s a nice image. The problem is to connect the other sides of a block with the first side. My concept is something like a story, a drama. From Henry Moore I learnt the inner, negative sculpture. In my actual situation I have to combine the all round concept and the „cave“ concept. Vasari wrote about „fatica“ and „difficolta‘“ of the artists work. Why should it be easier for me?!

Stil und “style” (art77blog.axel-von-Criegern.de Nr.293)

“STYLE” Ist in vor allem in der jungen Alltagssprache und im weiteren Modebereich keineswegs die Übersetzung des Wortes “Stil”. Style bezieht sich auf den ganzen Lebens-Stil ,hat aber streng genommen damit nichts zu tun. Es ist das Wort einer anderen Zeit. Das wird beim Adjektiv “stylisch” noch deutlicher. ”Stilistisch” ist enger im Gebrauch.

Mich bewegten diese Gedanken als ich einer ganz anderen Sache auf der Spur war. Und zwar ergab es sich durch die kontinuierliche Arbeit mit den sozialen Medien, dass ich zwar jeden Tag künstlerisch arbeite, aber mit verschieden Funktionen und Zielen. Das eine Ziel ist mein wöchentlicher Freitags-Blog ”art77blog”, das andere habe ich mir dadurch ”eingebrockt”, dass ich die Woche über auf “Instagram” Präsenz zeige. Und wie eine Spange legen sich die Arbeiten darüber, die nicht in dieses Zeit-Raster passen. Irgendwie drängte sich mir die Frage auf, ob dieser Rahmen auf die einzelnen Prozesse und Produkte einwirken würde.

Skulptur aus Mahagony (Arbeitsfoto)
„Late sun“ , Acryl. 50x70cm ©️voncriegern 2021
„TV 07.06; 22:30“ Blackliner und Farbstifte, 15x15cm ©️voncriegern 2021

Durch dieses Zeit-Raster sehe ich die drei Arbeiten im weiteren Kontext von Lebensäußerungen, die zusammen ein in dieser Form unverwechselbares Leben bedeuten und formen.
Die Arbeit an der Skulptur aus Hartholz fordert Ruhe, Ausdauer, Verlangsamung des Denkens. Das grosse Papier lag im Atelier und forderte mich zu grösseren Malbewegungen mit den direkt davor stehenden flüssigen Acrylfarben heraus. Mit kleinen Holzkeilen ‚verzog‘ ich die Farbe. Den rechten und den linken Teil gestaltete ich an zwei aufeinander folgenden Tagen. Das hellere Licht und die sich wieder einstellende Heiterkeit gibt die linke Hälfte wieder. Auch die Grapheme wurden lockerer, bis hin zum scripturalen Blau links unten. Das kleine, 15×15 cm grosse Bild, entstand während des abendlichen ”Paar-Fernsehens”. Sehr selten faszinieren mich Sendungen so, dass ich ungeteilt aufmerksam sein kann und will. Das Papierformat lag noch vom vergangenen Abend auf dem Tisch. Ebenso die Farbstifte und der feine Blackliner. Durch dieses Vorgehen steht die jeweils entstehende Arbeit in einer Art von Serie. Dabei hat sich aber „etwas anderes machen“ als Motivation eingeschlichen. Neben allen Fortsetzungs-Merkmalen dominiert also die Opposition. Allerdings gibt es bei den kleinen Arbeiten kleine Korrekturen, kleine Akzente, die noch vor dem ins Bett gehen und am nächsten Morgen gesetzt werden.

Nun könnte ich in der Tradition der älteren Kunstgeschichte Merkmale herausarbeiten, die die „stilistische“ Zusammengehörigkeit belegen. Hier käme man zum „typischen Stil“ des oder der…Diesen Versuch habe ich abgebrochen , als ich die Chance sah die Lebenswirklichkeit mit einzubeziehen. Auch das konnte ich ja hier nur verkürzt leisten. Meine Notizen muss man sich in die Alltagserfahrungen eingebettet vorstellen -in einem Rhizom ästhetischer Erfahrungen und Entscheidungen. Und solche macht und trifft jeder Mensch kontinuierlich.
Und was hat das mit dem „style“ zu tun? Ich meine dass es bei diesem um kollektive, von ‚trends‘ geforderte ästhetische Verhaltensformen geht. Längst dienen sie nicht mehr der Klassen-Unterscheidung ,(die sich bezeichnenderweise des „Stils“ bediente), sondern folgen Moden, Medien und „Influenzern“. Der stimmige „style“ bietet (Schein-)Sicherheit.
So gesehen hat mein Beitrag eine erzieherische Komponente: wir müssen den „style“ als das verstehen, was er ist: Oberfläche. Lohnender ist es den eigenen Stil als Summe aller ästhetischen Aktivitäten bei sich sebst zu entdecken. Auf gehts!

English Summary

The difference between „Stil“ und „style“ is -as far as I know-specifically german. Generally spoken is ‚Stil‘ more old style, while ‚style‘ is more fashionable . In the plain translation both words are used in the arts, i.e. art history, art theory and esthetic. My art activities focus on the social media: art77blog every friday, daily work on instagram and larger projects depending on the reference to actual reflections. There’s a chance to watch and compare the production short term. So I stumbled into the question of a common style. In the language of young people „style“ and „stylishhave a particular stand but it has nothing to do with art terms. It’s more social. Discussing this point I couldn’t resist to encourage younger people to care about their own ‚style‘ in a more personal than social way.

„Erkenne dich selbst!“ (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.292)

„Spielraum“, Blackliner und Buntstifte/ colourpencil 15x15cm, 2021

Den eigenen künstlerischen Idiolekt zu kennen,gibt zusammen mit den handwerklichen Grundlagen, Sicherheit. Aber wir dürfen uns nicht gängeln lassen und unter Druck setzen. Ein Blick auf die eigenen Arbeiten zeigt, dass wir über mehrere Idiolekte verfügen.
Tiefer gründet etwas persönliches, das sich außerhalb, bzw. mit Hilfe der Kunst entwickelt hat. Bei mir sind es Skepsis gegenüber Normen, Widerstand gegen Anforderungen und Erwartungen, die an mich gerichtet werden. Sofort stellt sich Distanz ein. Das ist auf allen Lebensgebieten ein zentraler Impuls meines Handelns. Dieses dauernde Infragestellen macht das Leben nicht leichter und auch nicht freier. Mag dieses Verhalten in der Kunst noch als spezifisch akzeptiert werden, stößt es im Alltag häufig auf Unverständnis. Das Verhältnis von Idiolekt und Identität in der Kunst ist spannend , für die Akteure ist das #„Erkenne dich selbst“ aber vorrangig.

p.s. Nun kann man zurecht fragen wie bei meinem Beitragsbild die angesprochenen Probleme sichtbar werden? Die Antwort heißt: Mit meinen Zeichen (Idiolekt), Farbenwahl , Melodie und Rhythmus bewege ich mich in einem freien Spielraum, der sich in einem langen Leben gegen viele Widerstände, Niederlagen und Erfolge entwickelt hat.

#Kommt in Griechenland im 6.Jh. v.Chr. auf. Vielzitierte Inschrift am Apollo-Tempel in Dephi.

English Summary

The result of a weeks reflections is that there is something more than recognizing the special individual „Idiolect“ of an artist . It started in Greece about 600 b.C. that people asked themselves „Who am I?“ All of us,including the artists, are continuously asked this question. For me personally means it a resistance against „correctness“ ,trends, fashion, orders. It is not easy to live this way, but I need it! A battle for identity, independence, freedom. Certainly the small picture illustrating my reflections does not show this fight. But it stands for my special system of signs (idiolect), colors, rhythm. It shows my playground, a space for free breathing . I take it as a gift for of a long artistic life including all kinds of win and loose, worrying and happiness.