Struktur und Inhalt (art77blog.axel-von-criegern.de.Nr.415)

“Wie die Alten sungen…”

”Wie die Alten sungen, so pfeifen auch die Jungen”  heißt das grösste Genrebild Jan Steens (1626-1679), das im Mauritshuis in Den Haag hängt (134 x163 cm). Auf dieses Bild nehme ich mit meiner Zeichnung Bezug. Ich habe es als kleines sw-Foto rechts in mein Bild montiert. #Steen hat mit grosser Sorgfalt Figuren und Motive, die wir auch von anderen Bildern kennen, verwendet. Da ist die träge in einem Armstuhl hängende Schöne, der ein junger Galan Wein einschenkt, der Opa in der Ecke am Fenster, Papagei und Vogelkäfig, dann die Mutter mit dem Kleinkind in der Mitte,  der lachende Mann, der einen Knaben an der Pfeife ziehen lässt, hinter ihm ein junger Mann der einen Dudelsack spielt, die häufig vorkommende alte Frau, die die Moral des Bildes von einem Blatt Papier abliest, ein kleines Mädchen , Steens Hund und in der Mitte ein Tisch mit Köstlichkeiten. Die Spannung zwischen einem bewegten, ausdifferenzierten Geschehen und der strengen Komposition ist für mich ein wichtiges Merkmal  der Bilder  Steens aus den sechziger Jahren. In dem Buch Struktur und Politik mit dem Untertitel: Grenzwerte der Kunstpädagogik (Berlin 1975)  habe ich das umfänglicher diskutiert. 

Bei meiner Zeichnung bin ich vergleichsweise locker vorgegangen  und habe mit einem Mädchen in der Bildmitte rechts begonnen. Die junge Dame steht auf einem Brett mit vier Holzrädern . Das ist ein Motiv, das ich für eine  große Ausstellung in der #Kunsthalle Tübingen , die nur Steens Bild galt, gebaut und bemalt habe. Übrigens standen und saßen alle Figuren auf solchen Rollbrettern, so dass sie von den Besuchern bewegt werden konnten. Etwas von der Bewegtheit und Offenheit habe ich in diese Zeichnung übernommen.

Die Auflösung auf meinem Bild ist, das macht der Vergleich mit Steen deutlich, Methode. Steens Motive werden zitiert, aber nicht ausgearbeitet. Das dominante Motiv des #Motorrads entstand als Bezug zu dem rollenden Mädchen oberhalb. Was Steen fest komponiert hat, ist bei mir eine lockere Reihung unterschiedlicher Motive, die andere Erzählungen freisetzt. Ohne kunstgeschichtliche Vorkenntnisse kann man bestenfalls die beiden Rad-Motive einander zuordnen.Entsprechendes gilt wohl für die Komposition. Bei ihr rückt die Konzentration auf die ästhetische, bildnerische Struktur ins Zentrum; die Bedeutung tritt dagegen deutlich zurück. Versuche Steens Komposition heute wörtlich zu verarbeiten, führt zwingend zur Parodie. Das ist bei aller Schönheit nicht unser Bild. Fazit: Wir brauchen Wissen, Übung , Können und Distanz um aus unserer Geschichte zu lernen.

# Auf meiner homepage habe ich ausschließlich meine Auseinandersetzung mit Jan Steen thematisiert. https//: axel-von- criegern.de

# criegern, Axel von :”Wie die Alten sungen…” , Auseinandersetzung mit einem Bild von Jan Steen(1626-1679)Tübingen 1999

 

 

The loneliness of the artist/ Die Einsamkeit des Künstlers (art77blog.axel-von-criegern.de; Nr. 308) in

Die Einsamkeit der Künstler. Blackliner, Grafit, Marker.©️Axel von Criegern 2021
„Die Einsamkeit des Künstlers“(Details)


The day before yesterday I ran a true theory marathon. My wife went to a meeting of her bridge club and I paged through a couple of art books. Soon I found out that Lisa Lee had edited books about Isa Genzken, a german artist, born 1948. In one of them I found an interesting essay about the art of Genzken: „From Modernist Autonomy to the Culture Industry“. (Benjamin H.D. Buchloh in „Isa Genzken ed. by Lisa Lee, October File 17, Harvard Press). Another one a was a catalogue by Isa Lee, „“Sculpture as World Receiver“. Here she refers to a series of Genzken-sculptures. Another thrill was the Auto Biography of Marina Abramovic. I had seen her retrospective at the Kunsthalle Tübingen a couple of days before and with this blend of fotos,videos and films in my mind it was a great experience. Both artists tell us about the esthetic of central human subjects like nature as vital and spiritual‘ dimension(Abramovic) or volume, body, space (Genzken).
What me impressed most of all was the conviction of both artists to make these dimensions accessible to the public through their works and actions. It was the focussing on that here and now that touched me more than their awsome works. I accepted that grateful as support of my own efforts.

Vorgestern bin ich einen echten Theoriemarathon geraten. Meine Frau ging zu einem Treffen ihres Bridgeclubs und ich blätterte in ein paar Kunstbüchern. Bald stiess ich darauf , dass Lisa Lee Bücher über Isa Genzken, eine deutsche Künstlerin, geboren 1948, herausgegeben hatte. In einem davon fand ich einen interessanten Aufsatz über die Kunst Genzkens: „From Modernist Autonomy to the Culture Industry“. (Benjamin H.D. Buchloh in „Isa Genzken ed. by Lisa Lee, October File 17, Harvard Press). Ein weiteres war ein Katalog von Isa Lee, „Sculpture as World Receiver“. Hier bezieht sie sich auf eine Reihe von Genzken-Skulpturen.
Ein weiterer Nervenkitzel war die Autobiographie von Marina Abramovic. Ich hatte ihre Retrospektive in der Kunsthalle Tübingen ein paar Tage zuvor gesehen und mit dieser Mischung aus Fotos, Videos und Filmen im Kopf war es eine tolle Erfahrung.
Beide Künstler erzählen von der Ästhetik zentraler menschlicher Themen wie der Natur als vitale und spirituelle Dimension (Abramovic) oder Volumen, Körper, Raum,Sprache, Kommunikation (Genzken).
Am meisten beeindruckt hat mich die Überzeugung beider Künstler, diese Dimension durch ihre Werke und Aktionen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es war die Fokussierung auf das Hier und Jetzt, die mich mehr berührt hat als ihre großartigen Werke. Das habe ich dankbar als Unterstützung meiner eigenen Bemühungen angenommen.

#Art77blog #Isa Genzken #Marina Abramovic #Isa Lee # Benjamin H.D.Buchloh #Aboriginies #Kunsthalle Tübingen #Culture industries #Natur #nature #Weltempfänger #world receiver #Jetzt #now #space #Körper #Raum #Sculpture #autonomy #dimensions

Karin Sander: Kunst der Ermutigung (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.286)

“Komm ins Offene“ (Für Karin Sander) ©️Voncriegern 2021

Warum war ich während und nach dem Besuch der „Office Works“ von #Karin Sander in der Kunsthalle Tübingen euphorisch , während Freundinnen, die sich aus einer Gruppenführung herausstahlen, flüsterten, sie könnten damit überhaupt nichts anfangen.?!


Der amerikanische Autor (Filmemacher, Maler,Schauspieler) John Waters hat einen Beitrag zu den „Office Works“ verfasst, der über QR-Code, die die Hauptwand der Kunsthalle beherrschen, zu hören ist. Dieser Text liefert herrliche Anstöße um die poetische Ästhetik zu verstehen, die K.S. trivialem Büromaterial abgewinnt.

Eine andere Passage dieses Textes hat mich ganz tief innen erwischt: „Die eher kunstferne, allgemeine Öffentlichkeit könnte Karin Sander für eine Verrückte in einem Schreibwarenladen, die Artikel für Bürobedarf hortet (…) oder für eine Putzfrau, die nach Dienstschluss die Papierkörbe der Angestellten durchwühlt und die Fehler des vergangenen Arbeitstages kidnapped(…)halten, aber für die anderen, für uns, die Kunstsammler mit einem Sinn für Humor, die Kuratoren, die Schönheit sehen, wo andere blind sind oder die Kritiker, die das Magische zu erkennen vermögen, ist Karin Sander eine großartige Künstlerin, deren Low-Budget-Büro-Zeichnungen gottvoll sind brüll-komisch,sexy und tief durchdrungen von historischer Disziplin…“

Was mich da tief trifft hat primär gar nichs mit Karin Sander und ihrer Kunst zu tun. In meiner Erziehung wurde alles getan um mir beizubringen, dass man sehr wohl das Höchste von sich verlangen muss, ohne dabei auf andere herabzublicken. Höre ich jetzt den guten John Waters, dann ist das im Sinne dieser Erziehung unverzeihlich anmaßend. Dabei benennt er exakt das, was mir in der Kunsthalle passiert ist. Im Sinne Waters bin ich für die befreundeten Damen einer der anderen. Warum mich das trifft? Weil ich immer wie alle sein wollte, das „anders sein“ nicht als persönliche Qualität, sondern letztlich als etwas zu Überwindendes verstand. Eigentlich erst jetzt, in der letzten Lebensphase, bin ich bereit das alles als mein persönliches anders sein zu akzeptieren. Vielleicht sogar noch in seiner besonderen Qualität zu respektieren?!
In der Kunst Karin Sanders begegnet mir ein mutmachendes Modell. Die Themen werden mit einer gut gelaunten Gnadenlosigkeit durchgepaukt, ohne darauf zu schauen, ob das überhaupt jemanden interessiert. Und das alles mit einer beeindruckenden Souveränität. „Uns“, den Künstler/innen, die nicht diese göttliche Begabung haben, zeigt sie Wege ins „Offene“. Das sind Wege zur Überwindung der selbst gesteckten Grenzen. Und das gilt auf Dauer und jeden Tag. Das ist doch etwas?!?!

English Summary

I did have the chance to see the „Office Works“ of Karen Sander in the Kunsthalle Tübingen. It made me really happy. The author, actor,painter John Waters wrote a wonderful essay which as QR-Code appears at the major show wall of the Kunsthalle. In the text is a passage that touched me deeply. That has to do with the special qualification required from the visitor of the brilliant show. Water makes a decisive difference between „us“, the art collectors, curators, criticists and the common people who can’t appreciate the special art of the „Office Works“. What hits me is exactly this somehow elite consciousness. I didn’t learn that in 81 years. But I must concede that there must be a difference between professional and average art approach. But I was not educated to think in terms of high and low which I read in Waters text. Sander shows a charming carelessness on this behalf, that makes me feel good!
#Kunsthalle Tüngen: KARIN SANDER. 27.03.2021-04.07.2021