Kunst braucht das „U“ (art77blog.axel-von-criegern.de Nr 243)

„Rederijker- Sprechmaschinen“, Feder, Aquarell ; 20x20cm,©️Von Criegern 2001

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es die Einteilung ‚Unterhaltungsmusik‘ und ‚ Ernste Musik‘. Es ging um Bewertungen, auch im materiellen Sinne. Vergleichbare Unterscheidungen kennt die „Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst“. Hier hat die Bewertung von Bildern im Internet jüngst für Unruhe gesorgt.
Meine Meinung ist, dass Kunst dringend die ‚leichte‘ Kunst als Ausgleich braucht. Schon die Antike unterschied zwischen dem dionysischen und appolinischen als Prinzipien. ( s. Winckelmann, Schelling, Nietzsche u.a.). In der Neuzeit ist das 17. Jahrhundert ‚mein‘ Modellfall . Moliere gegen Racine, Vermeer contra Ostade, Gryphius und Grimmelshausen. Bei Jan Steen (1626-1679) ist das Unterminieren der ‚bierernsten‘ Kulturproduktion eigenständiges Mittel. Sei es durch Mimik der Hauptfiguren oder ‚krass’ subversive Aktionen, wie wenn ein Junge auf den abgeschlagenen Kopf des Goliath pinkelt, den David bei der triumphalen Rückkehr am Fuss einer Treppe abgelegt hatte. Das Lachen zwingt den Betrachter dazu ein ikonographisch ‚festgefahrenes‘ Thema neu zu sehen und zu reflektieren. So etwas setzt eine offene Gesellschaft voraus, in der die „künstlerische Freiheit“ gewürdigt wird. Für Künstler(innen) sind solche Einfälle lebenswichtig. Viel unscheinbarer zeigen sie sich dort wo der Kanon der Kunst selbst zum Ansatz von ‚Störungen‘ reizt. Ein Beispiel ist die geometrische Kunst, wenn sie sich nicht an die ‚Regeln‘ hält. Und genießen wir es nicht alle, wenn wir ähnliche Brüche im Alltag entdecken?

English Summary
Art needs a touch of entertainment! We don‘t want to be bored. We don’t want to hear or see what we already expect. Although the repetition is required to a certain extension, not only to please but also to understanding . My
little design reflects the solemnity of amateur actors‘ performances. We encounter this kind of amusement every day when we find strange features in a commercial or surprising details in nature. So entertainment is not only vital for the arts…

# „E und U“ : Sehr guter Überblick in Wikipedia
# Appolinisch und dyonisisch“ in Wikipedia
# art77blog.axel-von-criegern.de : „Wie geht Kunst?“, edition cantz 2019
# art77blog „Du bist ein clown!“; „wissen als künstlerische Behinderung?“(Nr.230); „Wir sind Hölderlins Erben“(Nr 219); „Mein Freund Jan Steen“ (Nr 206); „Die Dichter( Rederijkers) (Nr 146); „Italienisches Straßen-Theater“(Nr 139); „Mein steiniger Weg zu Johann Sebastian Bach“(Nr 118); „Jan Steen und das Blech“( Nr 113); „Meine Bilder müssen mich unterhalten“(Nr 43)
#Jan Steen.Maler und Erzähler. Hg. Chapman,Kloek,Wheelock,Jr. Belser, 1996.

Das Warenzeichen des Bäckers Modestus (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.242)

Links: „Flora“ ,Wandbild aus Stabiae, Museum Neapel. 1.Jh. n.Chr. Rechts: angeblich das Warenzeichen des Bäckers von Modestus aus Pompeji ( Foto :Tilman Rösch ©️2020)

Die beiden Archäologen erstarrten: da lag zwischen Servietten, Gebäck und Aperitiv-Gläsern ein ca. 3 cm grosses Artefakt mit einem dunkel-schokoladenfarbnem Stempel. „Pompeji !!“ entfuhr es den beiden. Ohne Zweifel die Silhouette einer sich elegant und tänzerisch bewegenden Frau. Während das Untergewand rhythmisch Musik zu skandieren schien und die Figur fast schweben ließ, verriet die straff über den Busen und die Schultern gewickelte Stola die Würde einer römischen Dame. Das Ganze hatte etwas von abgebrochenenem Brot. „ Sollte es etwa …?“ Man hatte bei Grabungen in Popeji an einem Haus den Hinweis auf einen Bäcker mit Namen Modestus gefunden. Könnte das gar ein Qualitätsstempel des dann allerdings nicht so bescheidenen „Modestus“ sein? Das wäre beispiellos und sensationell. Nach dem verheerenden Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr., waren wohl schon bald Überlebende zurückgekehrt um unter der Asche-und Gesteinsschichten nach allem zu suchen, was sie in Panik hatten liegen und stehen lassen. Viel wahrscheinlicher war aber dass bei einer der späteren (Raub-) Grabungen so ein Bruchstück in den Grabungsschutt geraten und dort nach Hunderten von Jahren entdeckt worden war. Ein völlig unangemessenes Lachen riss die Gelehrten aus den Träumen: das sei ein Stück von der „Focaccia“, die die Dame des Hauses gebacken hätte und das Schwarze seien zusammengebackene Oliven. Also nix Sensation. Das sahen aber andere nicht so: Kurze Zeit später wurde getwittert: „Archäologische Sensation: antiker Brotstempel in Pompeji entdeckt!!“

English Summary
Two archaeologists and their wives met for an aperitivo. Enjoying their aperol spritz they both shouted loud and pointed at a small kind of artefact inmidst of the plates, glasses and napkins: „Look at this, unbelievable!“ In a bread-like brown object a black silhouette of a dancing lady seemed to be stamped in. They knew from a baker with name ‚ modestus‘ in old Pompeji, but a bread-stamp??? The laughter of the ladies woke them up. It was the piece of a real „Focaccia“ with handful of black olives baked together. But what was that: A tweet announced: „Sensation! Brand („sigillum“) of an ancient pompeian bakery found“ Now our two scholars and their wifes looked pretty perplexed, believe me.


#Lit. Marcel Brion, Pompeji und Herculaneum, zweite deutsche Auflage Köln 1965 ( engl. Original: Pompeii and Herculaneum. The Glory and the Grief)

Ein Märchen-Stift (art77blog. axel-von-criegern.de Nr.241)

„Disney-Märchen“, artist pen, Aquarell, Buntstifte, 19x17cm. ©️AvC 2020

Es war Zufall, dass ich beim Suchen nach einem schwarzen Stift im Durcheinander meines Zeichen-und Schreibtisches einen ‚artist pen‘ erwischte. Zwei Probestriche machten mir klar, warum ich diesen Stift immer übersehen hatte. Tuschestifte mussten in meiner bisherigen Zeichenpraxis sehr fein und exakt sein. Dieser Stift dagegen hatte eine weiche Spitze und sein Strich ähnelte dem eines Pinsels. Und das machte spontan erst einmal Spass. Die Linien schienen zu tanzen, Gleitschritte und Pirouetten auszuführen. Völlig anders als meine gewohnten „fine liner“ hatten sie ein Eigenleben , das zum Erzählen drängte.
Eine ähnliche Entdeckung hatte ich gemacht als ich mit elektronischen Medien freihand zu zeichnen begann. Bilder schienen ‚magisch’ auf dem Schirm zu entstehen. Und etwas davon hatte der neue Stift auch: ein Pinsel, der sich selbst am Leben erhält, der keine Pigmente und Malmittel braucht. Ein hybrides Werkzeug.
Als ich mit Aquarell und Buntstiften darüber ging, war es eher wie Malen. Die Farben wollten sich mit den Linien verbinden, reagierten nicht wie sonst bei mir antithetisch, Spannungen aufbauend und solche ausgleichend.
Was mich angeht, glaube ich, dass ich die Nähe, bzw. den Schatten der genialen Pinsel-Zeichner Rembrandt, Goya oder Watteau fürchte und daher meine Entwicklungsmöglichkeiten bei Strukturen, Dekonstruktion und in einer künstlerischer Dialektik suchte.

English Summary
I don’t know whether you ever used a soft pen, called ‚artist pen‘ or something like that. For me was it a nice experience because I usually design with thin hard pen
s , for example a 0,3mm fine liner. The artist pen was ‚pressure sensitive‘ like an electronic graphic tool. It seemed to dance and swing on the paper. I suppose that it would make good illustrations for fairy tales. Even when color is applied, lines and colors melt together like painting. I prefer color and line in a kind of dialogue and I had the impression that this brush-like pen is not good for this. Sorry if you don’t agree.
# art77blog.axel-von-criegern: „Wie geht Kunst?“. edition cantz, 2019.

„ Heilig nüchtern, lüstern verspielt“ (art77blog. axel-von-criegern.de; Nr.240)

„Heilig nüchtern, lüstern verspielt“, Tusche und Buntstifte, 12x15cm, ©️2020

In diesem Blatt habe ich Gegensätze und Kontraste bei der Bildentstehung beachtet: Sie ziehen und stoßen sich kontinuierlich an und ab. Leichte, schriftähnliche Elemente formen sich über festen Strukturen und umgekehrt lauere ich geradezu darauf, wie und wo ich feste Strukturen mit dieser verspielten Welt verbinden kann. Das soll der Titel vermitteln: „Bierernst“ ist für mich keine durchgängige Option! Er wird mit Lust in Frage gestellt, wobei ‚lüstern‘ bereits sprachlich das Unterminieren des ernsten Habitus parodiert. (Der von mir hoch geschätzte F.H. möge verzeihen !) „Spielerisch“ ist mein Weg ganz offensichtlich um dem „End“gültigem und den dahinter drohenden Gefahren der Langeweile, der Unterdrückung und des Todes zu entkommen. Heute spricht man viel von „Resilienz“ als Fähigkeit des Einzelnen mit der Offenheit unserer Gesellschaft und deren Anforderungen zurecht zu kommen. So könnte man mein „Konzept“ verstehen. Allerdings steht dabei die produktive, kreative, nicht die Stress-vermeidende Komponente im Vordergrund. So wird im Moment der sich abzeichnenden Problemlösung mutwillig mit dem nächsten Konflikt gespielt.(… „Und das soll Kunst sein?!“ )

English Summary
The issue of this post is the question why I am shy to handle art as a serious job. I never cared too much about this but I lately realized that it is a very personal feature. I obviously don’t trust any „final solution“. Those are rarely human! Of course am I fascinated by decisively acting persons, but only so far as they respect the individual freedom and dignity. We should have learned from history. Fortunately there are and were artists who even as perfectionists didn’t become victims of ideologies. I would say that in my special case it is the joy of life, the positive view, play and entertainment I work fore.