„Ich bin ein blog“/„I am a blog“ (art77blog.axel-von-Criegern.de Nr.234)

“Ich bin blog“, 19x15cm, Farbstift 2020 ©️Axel von Criegern

Ich weiß nicht, ob es mir gelingt eine sehr tief wurzelnde Erfahrung, die mir durch die Corona-Ereignisse bewusst wurde, zu skizzieren.
Als erstes habe ich durch diese Krise eine Reduktion verspürt und versucht diese zusätzlich durch meine 80 Jahre zu erklären: Rückgang der Bewegung, der sozialen Kontakte und der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.
Damit steht sicher ein Hang zum Cocooning (sich einspinnen). den ich schon längere Zeit bei meiner Arbeit an ‚art77blog‘ beobachten konnte, in Verbindung. Ich hatte dem Blog zunehmend mehr Bedeutung und Zeit gewidmet. Dadurch wurden andere Themen verdrängt, bzw. integriert und umgewidmet.
Diese Beobachtungen habe ich jetzt ins positive gewendet, indem ich beschlossen habe den Blog zu meinem Hauptthema zu machen. In ihn kann ich alles reinpacken, was mich beschäftigt und gleichzeitig die kontinuierliche Reflexion über Kunst in Text und Bild mit größerer Gelassenheit betreiben. Wenn ich formuliere „ich bin ein blog“ oder sogar in Slang „ich bin blog“ geht da die Erfahrung ein, dass bei der mir selbst auferlegten, wöchentlichen Veröffentlichung auch das ‚Leben‘ selbst Thema wird. Ich denke, dass sich dabei einige Probleme, die ich mit mir herumgetragen habe, lösen werden. Das gilt in erster Linie für die Spannung zwischen akademischem Diskurs und der dort geforderten Sprache einerseits und dem künstlerisch intuitiven Fühlen, Denken und Gestalten anderseits. Das gilt aber auch für den besonders in Deutschland oft künstlich aufrecht erhaltenen Abstand zwischen der Theorie und Praxis künstlerischen Lernens.

English Summary
In the Corona Pandemic we hear and read a lot how artists cope with this threat. For me is it a chance to reset, clear and thinkover my routine. The major result is that I accept the natural handicaps of an old man. I will no longer care for shows of my works , but focus almost exclusively on feeding my blog „art77blog“. There is a lot of work waiting for me, believe me!


Vergl. Hyperallergic.com
art77blog.axel-von-criegern.de: Wie geht Kunst, edition cantz, 2019


Mein drittes Auge (art77blog.axel-von-criegern.de Nr. 233)

Thema begründendes Beweisstück
„Mexiko“ 2015/16 ,Lindenholz, bemalt; H.52cm (Detail) ©️Von Criegern

Vor ein paar Tagen hatte ich ein Erlebnis, das mich dazu brachte meine iPhone-Kamera mein „drittes Auge“ zu nennen. Um etwas klarzustellen: mir ist bewußt, daß dieser Begriff von Religionen wie dem Taoismus und Buddhismus beansprucht wird und in Alltagspraktiken wie Meditation und Yoga einen festen Platz hat.

Ich saß auf den sonnigen Stufen unseres Treppenhauses mit einem Kaffee in der Hand und schaute eher beiläufig auf eine meiner wenigen bemalten Skulpturen, die dort aus dekorativen Gründen schon einige Zeit steht.

„Mexiko“, 2015/16 ;Lindenholz bemalt, H. 52cm . Foto Gudrun de Maddalena
„Mexiko“, 2015/16, Lindenholz bemalt,H.52cm ,Foto Gudrun de maddalena

In dieser entspannten Situation entdeckte ich Einzelheiten, die bei der Herstellung wichtig waren, inzwischen aber als Teil der ganzen Skulptur nicht mehr ins Auge fielen. Der Eindruck war so stark, daß ich zu meiner ständigen Begleiterin, der Smartphone-Kamera griff, um Einzelheiten festzuhalten. Beim Einrichten des Motivs auf dem Bildschirm erlebte ich fast suggestiv die Momente der bildhauerischen Arbeit und der späteren Bemalung.

„Mexiko“, (Detail) ©️VC
“Mexiko“, (Detail) ©️vC
„Mexiko“ (Detail) ©️VC

Und vor allem waren die Gefühle, die Lust, die Spannung und die Freude über die kleinen Erfolge, die diese Arbeit begleiteten, in und mit diesen Bildern wieder präsent. Es waren vor allem die „ Fahrten“ in Räume, Tunnel, und die Kreuzungen von Śtollen im Inneren der Skulptur, die ich so noch nicht erlebt hatte. Ich empfand diese erweiterte und dokumentierte Wahrnehmung durchaus als eine Besonderheit des dritten Auges.

English Summary

A lot of People believe in the existence of a mysteriös „third eye“. The Taoists do, the Buddhists do and in a more trivial way the followers of Yoga and meditation do. I experienced something like´travelling´with my iPhone camera forgotten ways of making a painted lime wood sculpture. The fotos recalled tension, excitement and joy bound to the sculpturing.

„Netsuke“ (art77blog.axel-von-criegern.de, Nr 232)

Axel von Criegern „Netsuke“, ©️2020 , Buchsbaum gefasst, H. 21,5cm

Man weiß ja, dass Buchsbaum mit das härteste, dichteste und schwerste Holz ist-aber selbst mit meinen besten Schnitzeisen tat ich mich schwer. Ich bohrte mich rein um irgendetwas zu formen, das auch dünn einigermassen frei stehen könnte. So entstand die Schlangenform. Die Gegenseite wollte ich sie so einfach wie möglich dagegen stellen. Unbeabsichtigt entstand eine Art von Figur, die mich an die „#Netsuke“, kleine japanische Preziosen aus Elfenbein, aber eben auch aus Buchsbaum, erinnerte. Das erste Mal sind mir Netsuke in einem Buch von #Edmundo de Waal : „Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verlorene Erbe der Familie Ephrussi“ (Wien 2011), begegnet. Nun wurde meine Figur viel zu groß (21,5cm), um am Gürtel eines Kimono getragen zu werden, aber auch als ich sie so fein wie möglich geschliffen hatte, blieb sie „japanisch“. Formal kam das aber nicht so richtig rüber. Ich gab mir einen Ruck und begann vorsichtig an der Vorderseite links unten ein Bild zu zeichnen und zu kolorieren. Etwas war mir klar: ich wollte die Oberfläche nicht ganz bedecken sondern Linien einsetzen, die einen Gegen-Rhythmus zum Plastischen schufen. Nun ja, das ging nicht ganz ohne Retuschen, gab aber dem zuvor nur imaginierten „Japanischen“ markantere Züge. Früher hätte ich mich des Kitsches bezichtigt, aber damit habe ich heute angesichts des globalen Kulturdorfes keine Probleme. Sarkastisch kann ich mir auch einen kulturellen Neu-Kolonialismus a la‘ #Gauguin, #Pechstein oder #Nolde vorwerfen. Aber das ginge nun sehr weit über meinen „Netsuke“ hinaus.

# Das Lindenmuseum in Stuttgart besitzt eine große und bedeutende Sammlung von Netsuke

English Summary
Everybody knows that
boxwood is heavy and very hard. But you have to carve it to know what that really means. Doing this chore I remembered little japanese pieces carved from ivory and boxwood , called „Netsuke“. Simultaneously I watched my boxwood taking over some „japanese“ features. I finished the figure as smooth as possible. After that it looked somehow „naked“. I tryed to catch a litte bit of ‚japan style‘ drawing and painting on it. Maybe that a japanese person laughs about this strange guy- but I don‘t care!

Das „nackte“Netsuke ©️2020

Vom radikalen Künstler Friedrich Hölderlin lernen.(art77blog axel-von-criegern.de. Nr. 231)

„Auflösung der Dissonanzen“ 21×15 cm ©️Von Criegern 2020

Ausgerechnet ein Dichter hat mir klar gemacht, was bedingungslose Hingabe an die Schönheit bedeutet- und wie weit ich davon entfernt war und bin. Bedingungslos war bei Friedrich Hölderlin (1770-1843) das Verweigern aller Kompromisse mit einem erträglichen Leben. Geradezu besessen verfolgte er das Ziel einer Verbesserung der Welt durch Poesie und schönere Seelen: „Das Schönausgleichende gilt von hier an bis zum Himmel“ heißt es in der Dichtung „Friedensfeier“. Wenn er in der Vorrede zu seinem einzigen Roman „ Hyperion“ von der „Auflösung der Dissonanzen“‘spricht macht er allerdings deutlich, dass er sich der Ungereimtheiten dieser Welt sehr bewusst ist. Für mich ist das Verarbeiten der Dissonanzen ein zentrales Thema, geradezu ein Motor meiner Arbeit.
Spielen mit Dissonanzen und deren Auflösung. ( Erster Zustand des Beitragsbildes)

Bezeichnend dafür war der Beginn dieser Zeichnung mit einem blauen Kugelschreiber. Die Angst vor der drohenden Monotonie bewirkte den Sprung zu dem schwarzen 0,5 mm Tintenstift, den ich schon für die Notizen verwendet hatte. Auf dieser ästhetischen ‚Ungehörigkeit‘ aufbauend, brachte ich die bunten Flächen ins Spiel, die sich frech über eine sich abzeichnende Syntax hinwegsetzen. Die weitere grafische Ausarbeitung der Zeichen zog weitere kleine Farbflächen nach sich. Dabei ging es nicht mehr um Dissonanzen, sondern deren Auflösung im Sinne des „Schönausgleichenden“.
Wenn ich bereits meine Distanz und Nähe zu Hölderlin thematisiere, wäre über das mir so wichtige ‚Spiel‘ eine Brücke zu seinem Vorbild Friedrich Schiller zu schlagen. Vorsicht! In diesen Höhen geht schnell der Atem aus. Letztlich handelt es sich um eine bescheidene Zeichnung, die ich durch edle Geister aufzuwerten versuche.

English Summary
During the last months studying life and work of Friedrich Hölderlin had become a major issue for me. So it was no wonder that even scribbling around with a ball pen I reflected some basic points of the work of this genial poet. But in the moment when I also named Friedrich Schiller as testomony I had to return to reality, Quoting people like Hölderlin or Schiller doesn‘t make a master piece!!