Prof.Dr.Christoffer H. Grundmann ,Valparaiso University, Valparaiso IN. USA :Gespräch durchs Fenster. Danke ganz herzlich! Thank you so much!
Monat: Mai 2022
Gegen den Stillstand (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.343)
Die Künstler-Familie
Die Sache mit der Systemtheorie (s. Nr. 341 u.342) hat angesichts des “Rucks”, der “Zeitenwende”, der Waffenexporte und der Erhöhung des Verteidigungsetats, der Diskussion um “Helden”, der Missachtung des Völkerrechts u.v.a.m. einiges von ihrem Glanz verloren. Unser gepflegter Pazifismus und damit unser gehütetes gesellschaftliches Ruhekissen muss befragt und überprüft werden.
Was die Kunst angeht, gibt es berechtigte Diskussionen zum politischen Engagement. Bei mir hat das etwas anderes ausgelöst. In den letzten Tagen habe ich mir vermehrt Gedanken dazu gemacht, wieweit meine “reflektions” überhaupt zielorientiert sind, sein sollen, sein wollen. Obwohl ich bisher nie als solche formuliert kann ich Ziele aufzählen: Als erstes klären, was Kunst überhaupt ist, ob es Regeln, Zwecke, Erklärungen für ihre Entwicklung, ihre Begriffe, Verhältnis zu Gesellschaft und Politik gibt. Ein nächster Zielkomplex gilt der Frage wieweit eigene künstlerische Produktion hilft Kunst besser zu verstehen. Meine aktuellen Ziele sind weniger theoretisch sondern Versuche die eigenen künstlerischen Fähigkeiten und Möglichkeiten in ihrem aktuellen Entwicklungsstand zu erproben und zu überprüfen. Praktisch bedeutet das Aufträge anzunehmen und ihre Bearbeitung mit Analysen und Recherchen zu verbinden.(Habe ich eigentlich nicht so vor Urzeiten angefangen?
Ein offensichtlich grundlegender Zweifel nagt allerdings an der Zielgewissheit: Wie weit untergräbt die künstlerische Praxis und Entwicklung nicht selbst solche im ersten Moment plausiblen Aktivitäten.? Werden diese nicht bereits im Moment ihrer Formulierung schon wieder überholt und weggewischt?
Systemstörung (art77blog.axel-von-criegern.de. Nr. 342)
Ich sagte ja schon vergangene Woche, daß ich für die Systemtheorie (Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp 1987) eine Schwäche habe. Sie macht das Denken einfacher, in dem sie äußere Einflüsse ausschließt. Vor drei Tagen wurde das zur Erfahrung. Drei Aufträge unterschiedlicher Bedeutung und Dringlichkeit warteten. Dennoch hatte ich am nächsten Morgen ein scheussliches Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit. Ich ging ins Erdgeschoß um mich im Atelier dieser Situation zu stellen. Es klingt mysteriös, aber in diesem Raum kehrte bei mir Ruhe ein. Das ganze Atelier wurde zum erquickenden Welttheater. Im Morgenlicht leuchtete lackiertes Blech, die versammelten Materialien erzählten ihre Geschichten, die gelagerten Arbeiten gaben Selbstvertrauen zurück. Was war eigentlich geschehen? Die beunruhigenden Nachrichten rings um den russischen Überfall auf die Ukraine, die bei uns anstehenden politischen, ja weltanschaulichen Veränderungen, und und und…Darüber traten die noch Tage zuvor bedrückenden Corona-Entwicklungen, die wirtschaftlichen Entwicklungen und Arbeitsstreitigkeiten in den Hintergrund. Das Ganze stellte aber mein Kunst-System in Frage und machte die Unfähigkeit solche Themen einzubeziehen, deutlich. Sich das klar zu machen, wirkte befreiend. Ich konnte wieder nach vorn schauen und mit Schwung weiterarbeiten. Die anstehenden Arbeiten habe ich in Form eines Stilllebens angeordnet und als “Trampolin” für die nächste große Aufgabe, ein wunderbares Stück Lindenbaum zu gestalten, verwendet. Heute habe ich die ersten Schläge mit dem Stechbeitel gemacht und bin durch Rinde und Bast zum duftenden Lindenholz vorgedrungen. Damit ist die Systemstörung Vergangenheit.
I already said last week that I have a weakness for systems theory. It makes thinking easier by excluding external influences. Three days ago this became an experience.
Three jobs of varying importance and urgency were waiting. Still, the next morning I had an awful feeling of emptiness and meaninglessness. I went downstairs to face this situation in the studio. It sounds mysterious, but I calmed down in this room. The whole studio became a refreshing world theater. Lacquered sheet metal shone in the morning light, the assembled materials told their stories, the stored works gave back self-confidence. What actually happened? The disturbing news about the Russian invasion of Ukraine, the upcoming political and even ideological changes, and and and… The depressing corona developments, economic developments and labor disputes that had been depressing for days before faded into the background. However, the whole thing called my art system into question and highlighted the inability to include such themes. Realizing that was liberating. I was able to look ahead again and continue to work with momentum. I arranged the pending work in the form of a still life and used it as a „trampoline“ for the next big task of designing a wonderful piece of lime tree. Today I made the first blows with the chisel and penetrated through bark and bast to the fragrant linden wood. The system malfunction is now a thing of the past.
Mein abstrakter Lebensbaum (Art77blog.axel-von-criegern.de. Nr.341)
Von afrikanischer Kunst habe ich keine Ahnung. Als ich meinem Freund Michele Facchino , dem Bogenbauer und Tausendsassa meine 18 cm hohe Buchsbaum- Säule zeigte, mischte sich ein Gitarrenbauer aus der Nachbarschaft ein und raunte „afrikanische Lebensbäume“. Bis dahin hatte ich meine Arbeit weder mit einem Baum noch mit Leben in Verbindung gesehen. Die Holzform war vorgegeben und ihr folgte ich beim Schnitzen. Aber jetzt war ich natürlich gespannt darauf, was sich hinter dem Wort ´Lebensbaum ` verbirgt.
Auf die afrikanischen Holz-Skulpturen bezogen, meint es übereinander aufgereihte Figuren von Ahnen, die für die Menschen dort höchst lebendig und gegenwärtig sind, auch wenn sie schon lange tot sind. Solche Stücke kann man sich nur im Ahnenkult vorstellen. Heute werden sie wohl hauptsächlich als ´Touristenware ´ hergestellt und gehandelt (s. Foto unten).
Das Christentum kennt ebenfalls Lebensbäume. Und zwar in einem breiten Bedeutungsfächer. Da ist der Lebensbaum als kosmisches Symbol aus dem die vier Lebensflüsse entspringen. Die Ursünde ist ohne den Baum der Erkenntnis, von dem Eva einen Apfel pflückt, nicht vorzustellen. Es gibt Darstellungen, auf denen sich Baum und Kreuz (Kreuzigung) verbinden. Nicht zu vergessen sind die unzähligen Varianten des Symbols für den dekorativen Gebrauch auf Textilien und Gebrauchsgegenständen aller Art.
Es ist ist immer wieder spannend sich die kulturellen Verflechtungen von Bild-Symbolen vor Augen zu führen, aber hier hat mich noch etwas anderes interessiert. Ich folgte bei meiner Arbeit jener rätselhaften Weise, die ja jede Künstlerin und jeder Künstler für sich ausbildet und die sich stetig weiter entwickelt; eine Methode, die sich entsprechend angepasst, bei allen Materialien und in allen Dimensionen bewährt. Am „ehrlichsten“ arbeite ich, wenn ich ohne Thema und Ziel vorgehe. Ich hatte auch bei dieser Figur noch keinen Gedanken an Bedeutungen einzelner Formen verschwendet. Thema und Ziel war eine gute Arbeit zu leisten, letztlich die beste. Das Wort „Lebensbaum“ veränderte meine Wahrnehmung völlig. Ich konnte mir erkennbare, gegenständliche Elemente vorstellen, die thematisch zusammenhängen. Es würde nur kleinerer „chirurgischer“ Eingriffe bedürfen. Allerdings werden diese ebenfalls den genannten künstlerischen Gesetzen unterworfen sein. Ob das Ganze dadurch besser wird, weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall bekam die Arbeit jetzt noch einmal eine neue Dimension.
I have no idea about African art. When I showed my 18 cm high boxwood column to my friend Michele Facchino, the bow maker and jack of all trades, a guitar maker from the neighborhood intervened and whispered “African trees of life”. Until then I had not seen my work connected to a tree or to life. The shape of the wood was given and I followed it while carving. But now, of course, I was excited to find out what is behind the word ‚Tree of Life‘.
Related to the African wooden sculptures, it means figures of ancestors lined up one on top of the other, which are very much alive and present for the people there, even if they have been dead for a long time. Such pieces can only be imagined in ancestor worship. Today they are probably mainly manufactured and traded as ‚tourist goods‘ (see photo below).
Christianity also knows trees of life. And in a wide range of meanings. There is the tree of life as a cosmic symbol from which the four rivers of life spring. Original sin is inconceivable without the tree of knowledge from which Eve plucks an apple. There are representations on which the tree and the cross (crucifixion) are connected. Not to be forgotten are the countless variants of the symbol for decorative use on textiles and everyday objects of all kinds.
It’s always exciting to visualize the cultural interdependencies of pictorial symbols, but there was something else that interested me here. In my work, I followed that enigmatic way that every artist develops for himself and that is constantly evolving; a method that is appropriately adapted and proven for all materials and in all dimensions. I work most „honestly“ when I proceed without a topic or goal. I hadn’t wasted any thought on the meanings of individual shapes in this figure either. The theme and goal was to do a good job, ultimately the best. The word „Tree of Life“ completely changed my perception. I could imagine recognizable, representational elements that were thematically related. It would only require minor „surgical“ interventions. However, these will also be subject to the artistic laws mentioned. I don’t know if that will make things any better. But in any case, the work now took on a new dimension.