„Das Treffen in Telgte“ (art77blog.axel-von-criegern.de.Nr.248)

Die ‚drei Affen‘ -„upgradet“. Tusche auf Zeichenpapier ©️2020

Nach dem wunderschönen Foto im letzten Beitrag (art77blog Nr.247) habe ich mich in der „mimesis“-Diskussion verrannt. Alle Lockerkeit war dahin.Das grenzte an„Selbst/Dogmatisierung“. Zwei Bücher haben mir aus der Patsche geholfen. Das eine war das Reclam-Heftchen mit #Aristoteles „Poetik“ in der Übersetzung von Manfred Fuhrmann. Hier bekam die „#Nachahmung“ (mimesis) konkrete Hinweise zur künstlerischen Anwendung. Sie gingen deutlich über die Poetik i.e.S. hinaus bis zur Malerei (wörtlich nennt A. die Zeitgenossen #Polygnot und #Zeuxis). Ein zentraler Begriff ist das typisierte Menschliche, der „ #Charakter“. Er muss idealerweise hinter allen Darstellungen erkennbar sein.
Das waren hilfreiche Hinweise, aber der Kahn vergnügter Phantasie und Kreativität kam erst bei der Lektüre des zweiten Buches zurück ins Fahrwasser. Bereits 1979 wurde eine köstliche Geschichte von #Günter Grass als Reclam Heft veröffentlicht: „# Das Treffen in Telgte“. Auf Empfehlung des Freundes und Buchhändlers Wolfgang Zwierzynski (Literarische Buchhandlung „Don Quichotte“) kaufte ich eine 2018 im Steidl Verlag erschienene illustrierte Ausgabe mit einem Vorwort von #Ingo Schulze. Das Buch berichtet von einem nie stattgefundenen Dichter- und Verlegertreffen von 1647 unter den abenteuerlichen Umständen der Münsteraner Verhandlungen zur Beendigung des 30-jährigen Krieges . Zu der Deftigkeit des „#Simplizius Simplizissimus“ von #Grimmelshausen ( als ‚Gelnhausen‘ auch beim Treffen dabei) gesellt sich ein Schalk, der mich ‚umgehauen’ hat und eine Sprachlust, die irgendwie ansteckend ist. Das ganze wird getragen von so stark ausgeprägten „Charakteren“, dass selbst der große Aristoteles von der literarischen Qualität überzeugt gewesen wäre.

Und jetzt erlebte ich ein kleines Wunder. Noch von der Lektüre angeregt, schaue ich zum Fenster raus und sehe auf der Treppe vor der Kirche drei junge Männer sitzen. Sie starren auf ihre Mattscheiben, sie sehen, hören und riechen nichts- eben wie die berühmten 3 Affen. Nur eben zeitgemäß. Völlig unprätentiös setzte sich die Zeichenfeder in Bewegung…

„Corona Comedy“, Tusche auf Zeichenpapier, ©️2020

Beim abendlichen Fernsehen war dann eine arme „#Comedian“, die unter #Corona-Bedingungen, ohne Publikum das Feuerwerk ihrer eingeübten Einfälle abbrennen musste, das Opfer. Der von irgendwo kommende, ‚abstrakte‘ Beifall erhöhte noch das Gespenstische dieser ‚als ob‘- Veranstaltung. Ich wüsste nicht wie ich diese Sterilität gezielt hätte darstellen können. Entspanntes zeichnerisches ‚Nachahmen‘ ist möglicherweise eher in der Lage das tragisch-komische Moment fast beiläufig zu transportieren. Ob dafür die ‚Charaktere‘ verantwortlich sind, die Aristoteles als notwendige künstlerische Basis für jede Art von Kunstprodukt sieht? Selbst wenn das nur ‚mein‘ Aristoteles wäre, lohnte es dieses innere Potential einer Zeichnung zu bedenken.

English Summary

After the serious discussion about „mimesis“ last week I had over night‘ lost my joy in carefree drawing. With Aristoteles‘ „poetics“ I found some useful hints, but not the door back to my drawing. I found the key after reading a book by Günter Grass, published 1979. It was only now that I had the chance to read the incredible crazy fiction of a poets meeting at the end of the 30years war . The ability to exaggerate and flim knocked me off. It was then that my original joy of drawing returned. Through my window I watched three young men scrolling with their cell phones . It looked very similar to the famous three monkeys. In the night program of TV a comedian performed without any aufience with artificial applause. This was reality comedy! My pen loved it!

#Mimesis (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.247)

„Still life-real life“ , Fotografie: Myriam Resch, ©️2020

Was mich an diesem Foto begeistert, ist das Spiel mit mehrfachen Realitäten. Das Bild an der Wand ist gemalt ( Acryl auf Leinwand): Der übervolle Zitronen-Korb aus Metall steht auch auf dem Foto im Vordergrund, jetzt aber „in echt“. Möglich, dass der Moment nach dem Malakt festgehalten wurde, die Farbe ist kaum getrocknet; es kann sich aber auch um ein späteres Arrangement handeln-ein „schönes Motiv“. Das wäre nicht nur ein Zeit-Unterschied, sondern auch eine andere Wahrnehmung. Im ersten Fall wäre es die Dokumentation einer eben abgeschlossenen Aktion, im zweiten ein interessantes Motiv, das sehr bewusst wahrgenommen und elegant ins Bild gesetzt wurde. Der Titel „Still life-real life“ spricht für letzteres.
Konzentriert man sich auf das Foto, dann beginnt die „Nachahmung“ mit der Motiv-Suche. Sowohl die waagrechte Tischkante (goldener Schnitt) als auch die zarten Zweige auf der linken Seite (‚japanisch‘) orientieren sich am Gemälde im Himtergrund. Die abweichende Perspektive ist dem Streben geschuldet beide Motive, Hintergrunds-Bild und echten Zitronenkorb, ins Bild zu bekommen. Die Fotografin, selbst Malerin, verarbeitet eine Reihe von ‚Referenzen‘. Dazu gehören # „Bild im Bild“, #„Vorbild-Nachbild“, „Komposition“, #„Zeit im Bild“, „Farbe“, #„Fotoästhetik“, #„Früchte-Stilleben“, #„Kunstfotographie“. Danke Myriam für dieses wunderbare Foto.
#„Mimesis“ ist ein sehr zu empfehlender Artikel in Wikipedia. Mich hat besonders die Entwicklung von Plato bis heute (u.a.Adorno und Derrida) interessiert.

English Summary

From the german painter Myriam Resch I got this photograph titled „still life and real life“.The idea of the photographer was to show the same lemon basket painted in the background and on a marble table in the foreground. The photograph itself refers to this differerence in a pleasant and sophisticated way. It reminds a philosophical discussion since Plato, who didn’t like „mimesis“, imitation, on his way to the „ideas“. Aristoteles ranked the importance of „mimesis“much higher than Plato. More and more it became the basic reference of any art. Even the most abstract theory and work knows „mimesis“ as background and contrast.


„Ein musikalisches Diktat?“(art77blog.axel-von-criegern.de Nr.246)

# Kunst und Musik #musikalisches Diktat #art77blog Nr 245,Nr.239, Nr.228, Nr.227,Nr.226, Nr.225, Nr.224,Nr.223 #Rhythmus und Melodie #eigene künstlerische Arbeit #Komposition #Klang der Bilder #Intonation #Artikulation #ästhetische Klassen

Eine „Unvollendete“ , Wachskreiden auf Zeichenpapier, 39x27cm, ©️ 2020

Situation: Schönes Morgenlicht im Atelier. Ich höre Franz Schuberts „unvollendete“ Sinfonie (h-Moll). Wachsmalstifte liegen in Reichweite und laden dazu ein, sie wieder mal zu benutzen. „Es macht mich an“ Schubert zu folgen , auf ihn zu reagieren und künstlerisch etwas „ herauszuholen“. Es ist der klassische Vorgang der Mischung zweier ästhetischer Klassen: der musikalischen und der bildnerischen. Auf den musikalischen Rhythmus reagiere ich lustvoll und dynamisch mit heftigen Strichen. Sie setzen Zeichen und gestalten Zwischenräume („Pausen“). Zeichen werden in das Papier eingegraben. Dazwischen und darunter gelegt weiche Farbwolken. Sie sind im Gegensatz zu den Rhythmen „melodiös“. Die Farb-„Intonation“ ist bewusst heiter, lediglich in der linken unteren Ecke ballt sich ein „Grollen“.
Der „Interpret“ bringt natürlich seine eigenen „Artikulationen ein. Formen und Entscheidungen , die sich in vielen Jahrzehnten in unzähligen Arbeiten geformt haben. So ist das, was manchem ungeübten Auge als Kindergekritzel erscheinen mag, in letzter Konsequenz eine Komposition. Man kann also nicht von einem ‚Diktat‘ sprechen, sondern von zwei „Sin-fonien“.
p.s. Das Verhältnis von Musik und Bild war und ist ein altes Thema, das beide Seiten beschäftigt hat. (Zur jüngsten Geschichte: Karin von Maur, Der Klang der Bilder, 1995). Persönlich interessiert mich zu beobachten wie weit meine Beschäftigung mit diesem Thema meine künstlerische Arbeit beeinflusst:
# art77blog Nr 245 :“Da ist Musik drin“, Nr 239: „Unaufhörliche Transformation“, Nr 228: „ Kunst ohne Handwerk?“ Nr 227:“Es ist der Klang…“ Nr 226:“Klang-Kopf“. Nr 225:“Klangteppich über Bildobjekten“. Nr 224:“Der Klang der Holzskulpturen“. Nr 223:“Da ist Musik drin!“

English Summary

Here is what I watched as I drew with wax crayons on white paper and listened to Franz Schubert‘s „unfinished symphony“. In the bright morning light I chose a brilliant red, blue, yellow, green and pink. I used them to draw a kind of handwriting. The strong rhythm of the music can be seen in the drawing. But there was no correspondence between the ‚letters‘ and the melody. So I put clouds-like patches between and under the ‚letters‘. To dramatic phases of the music I responded with a bundle of nervous lines in the lower left corner. In my opinion, the result shows that neither the music nor the drawing predominate, but a mixture of visual and acoustic elements.

„Ein musikalisches Diktat?“(art77blog.axel-von-criegern.de Nr.246)

# Kunst und Musik #musikalisches Diktat #art77blog Nr 245,Nr.239, Nr.228, Nr.227,Nr.226, Nr.225, Nr.224,Nr.223 #Rhythmus und Melodie #eigene künstlerische Arbeit #Komposition #Klang der Bilder #Intonation #Artikulation #ästhetische Klassen

Eine „Unvollendete“ , Wachskreiden auf Zeichenpapier, 39x27cm, ©️ 2020

Situation: Schönes Morgenlicht im Atelier. Ich höre Franz Schuberts „unvollendete“ Sinfonie (h-Moll). Wachsmalstifte liegen in Reichweite und laden dazu ein, sie wieder mal zu benutzen. „Es macht mich an“ Schubert zu folgen , auf ihn zu reagieren und künstlerisch etwas „ herauszuholen“. Es ist der klassische Vorgang der Mischung zweier ästhetischer Klassen: der musikalischen und der bildnerischen. Auf den musikalischen Rhythmus reagiere ich lustvoll und dynamisch mit heftigen Strichen. Sie setzen Zeichen und gestalten Zwischenräume („Pausen“). Zeichen werden in das Papier eingegraben. Dazwischen und darunter gelegt weiche Farbwolken. Sie sind im Gegensatz zu den Rhythmen „melodiös“. Die Farb-„Intonation“ ist bewusst heiter, lediglich in der linken unteren Ecke ballt sich ein „Grollen“.
Der „Interpret“ bringt natürlich seine eigenen „Artikulationen ein. Formen und Entscheidungen , die sich in vielen Jahrzehnten in unzähligen Arbeiten geformt haben. So ist das, was manchem ungeübten Auge als Kindergekritzel erscheinen mag, in letzter Konsequenz eine Komposition. Man kann also nicht von einem ‚Diktat‘ sprechen, sondern von zwei „Sin-fonien“.
p.s. Das Verhältnis von Musik und Bild war und ist ein altes Thema, das beide Seiten beschäftigt hat. (Zur jüngsten Geschichte: Karin von Maur, Der Klang der Bilder, 1995). Persönlich interessiert mich zu beobachten wie weit meine Beschäftigung mit diesem Thema meine künstlerische Arbeit beeinflusst:
# art77blog Nr 245 :“Da ist Musik drin“, Nr 239: „Unaufhörliche Transformation“, Nr 228: „ Kunst ohne Handwerk?“ Nr 227:“Es ist der Klang…“ Nr 226:“Klang-Kopf“. Nr 225:“Klangteppich über Bildobjekten“. Nr 224:“Der Klang der Holzskulpturen“. Nr 223:“Da ist Musik drin!“

English Summary

Here is what I watched as I drew with wax crayons on white paper and listened to Franz Schubert‘s „unfinished symphony“. In the bright morning light I chose a brilliant red, blue, yellow, green and pink. I used them to draw a kind of handwriting. The strong rhythm of the music can be seen in the drawing. But there was no correspondence between the ‚letters‘ and the melody. So I put clouds-like patches between and under the ‚letters‘. To dramatic phases of the music I responded with a bundle of nervous lines in the lower left corner. In my opinion, the result shows that neither the music nor the drawing predominate, but a mixture of visual and acoustic elements.

Glück in der Kunst(art77blog.axel-von-criegern.de Nr.245)

“Hölderlins Xylophon“, 5 Holz- Klangkörper ©️2020

Gute Kunden,gute Galerien,gute Ausstellungen, gute Umsätze -wir wissen, was Künstler/innen glücklich macht. Aber es gibt noch andere Glücksmomente. Einen habe ich vor ein paar Tagen erlebt als es darum ging mein, für unser Hölderlin-Projekt entstandenes, „Hölderlin-Xylophon“ in die Tübinger Galerie „Fingur“ zu transportieren. Zusammen mit dem Künstler und künstlerischen Leiter Pit Eitle ear das kein Problem. Wir stellten das Ensemble von Klangkörpern auf eine breite Fensterbank . Neugierig und verspielt ergriff Pit die beiden Schlegel und „präludierte“ locker drauf los. Mir blieb sprichwörtlich der Mund offen stehen. In diesem Moment löste sich bei mir ein Knoten: als ich das hörte, glaubte ich wieder an mein Vorhaben den Zusammenhang von Klang und plastischer Form zu erforschen! Ich war dabei gewesen vom Glauben an mich abzufallen, als buchstäblich aus heiterem Himmel und ohne Ankündigung das Glücksgefühl aufstieg:“Heureka!“- es lohnt sich weiter zu machen.

English Summary
We all know what makes an artist happy: good galeries, good sales, good press etc. Four days ago I stumbled in an different and unexpected outburst of happiness. I have carved wood for month searching for a connection of mass and sound. It was frustrating! In this moment an artist and percussionist (which I didn‘t know before) started to play my „Hölderlin-xylophone“. I couldn’t believe it, it was overwhelming, breathtaking!! My selfconfidence returned.

#see Youtube „Axel von Criegern“

Gibt es eine „europäische“ Kunst? (art77blog.axel-von-criegern.de Nr.244)

Computerarbeit nach Jan Steen (1626-1679) „Abfahrt vom Wirtshaus“ ©️2020

Natürlich gibt es die „Europäische Kunst“! Regale voll Bücher und viele Einrichtungen lassen keinen Zweifel aufkommen. Heute würden wir sagen, gemeint sind Künstler*innen, die aus der EU stammen, wohnen und arbeiten. Allerdings ist das zeitübergreifend nur bedingt gültig. Stichworte sind byzantinische Künstler in Ravenna , Venedig (die Mosaike! ), ‚muslimische‘ Künstler am Hof Friedrich II in Sizilien und Apulien oder Spanien (Cordoba!), Kandinsky ( Blauer Reiter und Bauhaus) u.v.a.
Bei der Lektüre des eben erschienen Buches von #Jürgen Wertheimer: Europa. Eine Geschichte seiner Kulturen.(Penguin, München 2020), stieß ich auf einen Gedanken, der mich die Frage nach der ‚europäischen‘ Kunst neu stellen lässt. Wertheimer räumt der #Aufklärung des 18.Jahrhunderts und ihres Scheiterns die Bedeutung einer historischen Wende in Europa ein. Am Beispiel von #Denis Diderot, dem Mit- Begründer der einmaligen #„Encyclopedie“ und Verfasser des Dialogs #„Rameaus Neffe“(1762) entwickelt der Autor das #„ dialogische Prinzip“ als bleibendes Erbe der Aufklärung und erklärt das #„System Aufklärung“ zum #
„Synonym für Europa“. Dann folgt die Überleitung zur Gegenwart „Wir sollten Europa immer wieder an diesen Teil seines Erbes erinnern. Es ist unser USP ( #Wikipedia: „Alleinstellungsmerkmal“) aber auch das Herz unserer individuellen und kollektiven Kommunikationstechnik-und zwar von Beginn an.“ (S.330) Da ich selbst Kunst als ‚Kommunikationstechik‘ verstehe, wirft das für mich neue Fragen nach ‚europäischen‘ Merkmalen der Kunst auf. Und natürlich: wenn ich bereits eine plausible Antwort hätte, würde ich sie sofort und mit bestem Gewissen preisgeben!

English Summary
If you look for ‚European Art‘ Wikipedia will tell you something like ‚art made in Europe‘ or by european artists, and there is nothing wrong. Reading a recently published book of Jürgen Wertheimer, Europa.Die Geschichte seiner Kulturen (Penguin, Munic 2020) I got an idea for a more essential answer. Following Wertheimer the
dialogue is the most important result of the enlightenment. The enlightenment is the ‚USP‘, the brand of Europe . His call is never forget this roots of of the European culture and makes me think about a different answer to what European art is . But this will be a real tough job…