Danke! Ich fühl mich wie neu geboren!!!
Anmerkungen zu einer Didaktik des schöpferischen Moments
Kurzrezension zum Buch von Axel von Criegern:
art77blog.axel-von-criegern: Wie geht Kunst? Esslingen 2019
Axel von Criegern, emeritierter Kunsthistoriker, Kunstpädagoge und seit frühem Jugendalter auch Künstler, veröffentlicht seit 2016 regelmäßig in einem eigenen Blog Produkte seines künstlerischen Schaffens, begleitet durch schriftliche Kommentare, die das jeweilige Kunstwerk erläutern und begründen sowie öfters auch in einen biographischen oder kunstgeschichtlichen Kontext stellen. Als Erziehungswissenschaftler und Schulpädagoge kann ich nur wenig zu den künstlerischen Dimensionen seines Schaffens selbst sagen – hierzu fehlt mir die fachliche Expertise -, ich versuche vielmehr, das didaktische Konzept zu beschreiben, das diesem Blog zugrunde liegt und das auch deshalb in verdichteter Weise zum Tragen kommt, weil die Einträge in den Blog „art77bloig.axel-von-criegern“ in einem Buch zusammengestellt sind, das die Vielfalt der unterschiedlichen Bilder, Graphiken, Skizzen und Photographien aus den Jahren 2016 bis 2019 aufnimmt.
Schon der Titel verrät die didaktische Absicht. Die Frage „Wie geht Kunst?“ und die im Buch enthaltenen Antworten auf diese Frage könnte die didaktische Absicht klassischer gar nicht zum Ausdruck bringen: Der Lehrer belehrt seinen Schüler, der Professor den Studenten, der Meister den Lehrling, der Profi den Laien. Dabei ist die Frage alles andere als trivial, berührt sie doch den Kern künstlerischer Aktivität, unabhängig und noch vor allen Antworten, die die Kunstgeschichte bereithält. Diese setzt sich eher mit der Frage auseinander: Was ist Kunst? Oder: Was ist ein Bild? DieFrage „Wie geht Kunst?“ verweist auf die anthropologische Tatsache, dass der Mensch in der Lage ist, seine Kultur selbst hervorzubringen und sich in der Kunst ein Medium zu errichten, um sich in einer ästhetischen Sprache auszudrücken und darin seine Erfahrung zu reflektieren und zu überschreiten. Axel von Criegern zeigt dies am Beispiel eigener Werke auf, die er – und dies ist wiederum ein eher klassisches didaktisches Element – in Texten erläutert und kommentiert. Die Begriffe helfen dem Leser, die jeweiligen Kunstwerke zu verstehen, wobei jeweils unterschiedliche Bezugsfelder herangezogen werden, seien sie biographisch, kunsthistorisch, gesellschaftlich-sozial oder auch im engeren Sinne kunstpraktisch orientiert. Auch die zugeordneten Überschriften setzen didaktische Akzente, indem sie dem Leser gleichsam eine Brille aufsetzen, durch die das jeweilige Kunstwerk betrachtet und gleichsam „gelesen“, also verstanden und eingeordnet werden soll.
Was jedoch schnell auffällt ist, dass die einzelnen Doppelseiten (links der Text, rechts die Abbildung) jeweils eine abgeschlossene Einheit zu sein scheinen. Dem Blog wie auch dem Buch liegt kein strenger systematischer Aufbau zugrunde, der dem Leser bzw. dem Schüler den Weg weist, wie er selbst zur künstlerischen Professionalität kommen kann und dann am Ende weiß, wie Kunst wirklich geht. Axel von Criegern nimmt den Leser nicht an die Hand, um mit ihm ein vorab festgelegtes Ziel anzusteuern. Es ist kein streng methodisch-systematisch und linear ausgerichteter Weg, der Schritt für Schritt, möglicherweise vom Einfachen zum Schwierigen, vom Laienhaften zum Virtuosen, vom Schlichten zum Genialen durchgestaltet wäre. Der Aufbau eines Buches, das sequentiell von Seite zu Seite, von einem Anfang bis zum Ende eine solche Linearität nahelegt oder unterschwellig aufdrängt, könnte eine solche lehrgangsähnliche Struktur begünstigen oder auch unterstellen. Eine solche Struktur liegt jedoch nicht vor. Insofern könnte man das Buch auch von hinten nach vorn durcharbeiten, man könnte an einzelnen Doppelseiten hängen bleiben, vor- und zurückblättern,es in der Mitte aufschlagen, sozusagen durch das Buch flanieren, sich treiben lassen und sich in einzelne Kunstwerke und ihre Erläuterung vertiefen. Nur an wenigen Stellen wird auf andere Seiten verwiesen, um einen Zusammenhang zu verdeutlichen.
Dennoch wäre es falsch, die nicht-lineare Struktur des Aufbaus als beliebiges und zufälliges Konglomerat eines künstlerischen Einfallsreichtums zu begreifen. Die nicht-lineare Struktur ist durch den Prozess des künstlerischen Schaffens selbst, ist also von der Sache her begründet. Kunst lässt sich nicht in einem geschlossenen Konzept lehren, das einem erfolgsversprechenden Programm gleicht, um am Ende den kompetenten Künstler als Output hervorzubringen. Axel von Criegerns Didaktik zeigt sich vielmehr darin, dass er an eigenen Werken exemplarisch aufzeigt, wie er selbst den Prozess des künstlerischen Schaffens versteht und auch praktiziert. Und dies gelingt ihm auf authentische, sympathische und überzeugende Weise. Dieser Prozess ist kein linear und stetig ausgewiesener Weg, der als Technik der Realisierung und Umsetzung eines vorab fertigen Plans beschritten und ausgeführt werden könnte. Er ist vielmehr ein diskontinuierlicher Weg, der von der Intensität einer gelebten Gegenwart, von der aufmerksamen Wahrnehmung günstiger Gelegenheiten, von der Bereitschaft, sich auf spontane Ideen einzulassen, lebt. Der künstlerische Prozess benötigt das Wechselspiel vom Suchen und Finden, von der flüchtigen Idee und dem spielerischen Erproben ästhetischer Wirkungen. Diskontinuität erweist sich im Ereignen schöpferischer Momente, die vielleicht vorbereitet und angebahnt, nicht aber erzwungen werden können.
Bisweilen kann die Leichtigkeit des Spiels, die die Kunstwerke Axel von Criegerns kennzeichnen, auch umschlagen in ein hartnäckiges Ausarbeiten einer Idee, aber nur selten ist die Anstrengung und Mühe den Ergebnissen selbst anzusehen, am ehesten vielleicht noch in der Bearbeitung widerständiger Materialien wie Holz oder Blech. Aber auch in solchen Werken spiegelt sich der künstlerische Prozess als Mischung aus Phantasie und Plan, von Versuch und Irrtum, von Weichenstellungen, die die ursprüngliche Idee abwandeln und einen neuen Weg in den Blick nehmen. Axel von Criegern spricht selbst vom „Wechselspiel von Regelhaftigkeit und Spiel“ (S. 94), vom Fixieren und in der Schwebe halten, vom Einrahmen und Überschreiten, vom Verschwinden und Erscheinen, von Freiheit und Struktur, so dass man den künstlerischen Prozess geradezu als Entfaltung von Gegensätzen und dialektischen Spannungsfeldern beschreiben könnte. Dies erfolgt jedoch nicht in einem sprachlich-begrifflichen, sondern in einem ästhetischen Diskurs, der der begrifflichen Welt des Sprechens und Schreibens eine eher nachgeordnete Dienstleistungsfunktion zuweist.
In den Kunstwerken des Blogs zeigt sich eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit in den ästhetischen Sprachen des Bildes und der Skulptur. Manchmal ist darin die Realität fast mit den Händen zu greifen – wie beispielsweise in den Comics, die Geschichten erzählen –, oft bleiben aber die Bezüge zur Realität eher indirekt oder auch abstrakt und sind nicht auf erkennbare biographische oder literarische Situationen bezogen. Das Spiel mit Formen und Farben, mit Linien und Flächen, mit Symbolen und Kontrastenusw. lehrt eine Vielfalt von Sprachen der Kunst, diejeweils am Beispiel den Prozess des künstlerischen Schaffens offenlegt.
Und doch bleibt es immer auch ein Geheimnis, woher die Ideen und Einfälle, das handwerkliche Können und die individuelle Handschrift künstlerischen Produzierens eigentlich kommen. Es zählt zu den faszinierenden Rätseln des Kunstschaffens, dass die Anfangsgründe und Ausprägungen künstlerischen Ausdrucks oft nur wenige Einblicke in die Innenseite ermöglichen, Einblicke, die deshalb auch nur begrenzt didaktisch ausgestaltet und schon gar nicht beherrschbar gemacht werden können. Die Antwort auf die Frage, wie Kunst geht, wird deshalb wohl nie abschließend beantwortet werden können. Auch Axel von Criegerns „heilige Angst vor allzu ausgearbeiteten Dingen“ (S. 72) ist als Plädoyer gegen eine Didaktik zu verstehen, die in ihrer Geschichte allzu oft den Gefährdungen einer scholastischen Verengung und der Verkürzung auf die Vorgabe von Rezepten verfallen ist.
Prof. Dr. Ludwig Duncker
Justus- Liebig- Universität Gießen