In der am 14. Januar zu Ende gegangenen Ausstellung von und über Alexander Kluge im Stuttgarter Kunstverein stieß ich auf Pier Paolo Pasolinos 20-minütigen Film „Cosa sono le nuvole?“ Für mich war das ein großes Erlebnis. Ich war wie gebannt. Dieser 1968 gedrehte Film enthält alles, was mich damals umtrieb und heute noch nachwirkt:Schauspieler, die wie Marionetten (Burattini) von oben mit Schnüren geführt werden, spielen Shakespears „Othello“: Jago (Toto´) dämonisch grasgrün angemalt, der Mohr mit großen Augen und unendlich naiv aus dem geschwärzten Gesicht blickend- das ganze Ensemble echte Straßentheater-Typen. Man kommt schnell zur Sache. Jago stiftet Othello dazu an die Gattin Desdemona aus ( unbegründeter) Eifersucht umzubringen. Das leuchtet dem Publikum überhaupt nicht ein, die Bühne wird gestürmt, Jago und Othello werden niedergerungen und von der Müllabfuhr entsorgt. Der angebliche Liebhaber und Desdemona werden gefeiert. Jago und Othello landen auf einer Müllkippe. Dort sehen sie das erste Mal den Himmel und Othello fragt den erfahreneren Jago, was das da oben sei und als der sagt „Wolken“, kommt das entwaffnende: Was sind Wolken?
Ebenfalls 1968 hat Kluge seinen preigekrönten Film „Artisten in der Zirkuskuppel:ratlos“ gedreht. Auch er bewegt sich in einer Fantasie-Wirklicheit. In Stuttgart greift er Pasolinis Gedanken der Verantwortung und Eingriffsmöglichkeiten aller Beteiligten unter Hinzuziehung weiteren Materials auf. Kluge stand der „Frankfurter Schule“ nahe und war mit Adorno befreundet. Uns Jüngeren war er als Kulturschaffender durchaus ein Begriff .Ich kann versuchen meine Situation 1968 zu beschreiben um die Einflüsse aufzuspüren. Aus Gesprächen mit Jüngeren weiß ich, daß unsere Offenheit nach allen Seiten und für alles einschließlich „multi tasking“ heute nicht mehr denkbar, bzw. anzuraten ist: Zugleich Kunstlehrer, Familienvater und Student, Galerist und Zeitungszeichner, von POP und Marx angezogen, Doktorand und Institutsstürmer. Die Wirkungen auf meine spätere Arbeit kann ich am deutlichsten am Versuch Kunstgeschichte und künstlerische Praxis zu verbinden, nachweisen.
Als „zweite, künstlerische Dissertation“ (Peter Klaus Schuster in seiner Eröffnungsrede der Ausstellung „Wie die Alten sungen…“ 1999 in der Kunsthalle Tübingen) begann ich 1996 Jan Steens ( 1626-1679) Bilder regelrecht zu durchpflügen und alle denkbaren Aspekte einzubringen. Während die Dissertation (Vergl. “ Abfahrt von einem Wirtshaus“ in Oud Holland. Driemaandelijks Tijdschrift voor Nederlandse Kunstgeschiedenis, Nr. 1, 1971, S. 9-31) noch brav war, hatte ich in den Folgejahren schier grenzenlose Freiheit. Ohne den Schub von 1968 wäre die vielperspektivische, zum Alltag geöffnete, künstlerisch erweiterte und weitergeführte Auseinandersetzung mit historischen Kunstwerken , die bis zu einem Theaterstück, das die „Abfahrt“ als „Narrenschiff“ auslegt, geht, nicht denkbar gewesen.( Vergl. „Dramaturgie eines Bildes. Jan Steen (1626-1679), „Abfahrt von einem Wirtshaus“. Giessen, Tübingen 2004). Jetzt im fortgeschrittenen Alter ist es nicht immer einfach unschuldig zu fragen „Cosa sono le nuvole?“ Umso dankbarer bin ich für solche (selbst-)begeisternden Wiederbegegungen.
English Summary
Everybody has one day experienced the powerful impact of an artwork. That happened to me in an exhibition of Alexander Kluges latest works. Here was it particularly a film by Pier Paolo Pasolini “ Cosa sono le nuvole?“ ,What are clouds? Finally I found out, why I was so excited about that film and the way Alexander Kluge worked with it. The key is the year 1968, when we – Pasolini(born 1922, Kluge (born 1932) and me (born 1939) realized, that new cultural and social powers affected actual and future work and life.
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