Ich nenne es Frühling. Nachdem art77blog Nr.331 vergangene Woche veröffentlicht war, nagte eine unterschwellige Unzufriedenheit an mir: War es nötig gewesen meine künstlerischen Leistungen so in Frage zu stellen? Irgendetwas ist da falsch gelaufen. Ich glaube alle kennen die Lähmung, die sich danach einstellte. Soll man nicht überhaupt den Bettel hinschmeissen?
Und dann kamen diese unglaublichen Sonnentage. Wie ein Hund im trockenen Laub rumschnüffelt, suchte ich den künstlerischen Sinn meiner Arbeit. Und füllte Seite um Seite. Am Ende war es der Rhythmus, der als Grundmotiv übrig blieb. Das Schreiben ging in frei schwingende Linien über. Diese entdeckte ich nun auch in der kleinen Buchsbaum-Arbeit, an der ich jeden Tag ein Stückchen weiter komme. Noch überraschender war der befreite Blick, der sich jetzt einstellte. Das Rot der kleinen Dickmadam leuchtete so belebend, daß ich beschloß eine der sich aus dem Schreiben lösenden Linienzeichnungen zu aquarellieren.
Die sich zum Positiven wendende Sicht der Dinge bezog sich auch auf den sich nun schon so lange dahinschleppenden Corona-Blues und den grausamen russisch-ukrainischen Krieg. Es war als ob sich das Ich aus der lähmenden Depression frei machte und die Nachrichten als solche wahrnehmen konnte.
Und jetzt komme ich zum Frühling zurück. Ein Blick in die Geschichte der Literatur, der Dichtung, der Buchmalerei und Kunst zeigt dieselbe euphorisierende Wirkung des Mythos Frühling.
Und die macht offenbar auch nicht vor dem Alter halt!
Ausgang war mein ewiges Spiel mit ‚flächig‘ und ‚räumlich‘. Mit Grafit habe ich auf einem gerade vor mir liegenden, rauhen Aquarellpapier zu ‚Figur‘ im ‚Raum‘ skizziert.Eine gewisse Tiefe, wollte ich haben, aber keine Zentralperspektive, also eine Art #‚fraktaler Raum‘. Ich denke, das kann man an der Skizze ablesen. Ein paar Wischer schufen Atmosphäre und verbanden die einzelnen Teile (Motive) zur Illusion eines Raumes.
„Ungewolltes Glasfenster“, Zwischen-Zustand
Das war der Auslöser dafür mit verteilt gesetzten Aquarell-Flächen das Gewebe (Textur) dichter und spannungsreicher zu machen. Jetzt nahm das Drama seinen Lauf. Die Farbe machte die Raum-Illusion wieder ‚platt‘. Anstatt nun das Bild mit Raum-Farb-Akzenten ‚offen‘ zu lassen, verstärkte ich die grafischen Akzente und betonte wenige Tiefen-Linien.Die Falle schnappte zu.
Um dem erkennbaren Auseinanderfallen der Komposition entgegen zu wirken, benutzte ich die schwarzen Linien als Klammern. Natürlich fielen mir dabei Glasfenster mit ihren Bleiruten ein. Zeitlich liegen Adolf Hölzels Glasfenster vom Beginn des letzten Jahrhunderts nahe. Aber das war nicht das, was ich gewollt hatte. Es ist ein Bild geworden, das ich am liebsten #aufschneiden würde, um mich aus der Falle zu befreien. Vielleicht sehe ich die Sache aber in ein paar Tagen auch anders…
English Summary
I made the bad experience of running into a selfmade trap. Instead of an airy , breathing space I created a rigid design similar a stained glass window. O.K. that happens.
Ob meine künstlerische Arbeit oder die anderer, wenn eine Arbeit als fertig verstanden wird, ist die Spannung raus. Das hat nichts mit der Qualität zu tun.Das fiel mir beim Blick in mein Skizzenbuch auf, in dem die Annäherung an das Bild „Wilhelmstift“ festgehalten sind.
English Summary
Very often I find the approach to a an art- challenge much more exciting then the solution, the „work“ itself. Of course you may say: depends…
Der Begriff „Motiv“ ist der Kunst- und in Alltagssprache gleichermaßen vertraut. „Motivation“ ordnen wir dagegen zuallererst der Psychologie zu. In der künstlerischen Arbeit verschmelzen die beiden Begriffe. Das wurde mir deutlich, als ich während eines Berlin-Aufenthalts zwar die immer vorhandene Motivation (Lust ,fast ein Plichtgefühl) am Auseinandersetzen mit der Umgebung verspürte, aber keine rechte Gelegenheit dazu fand. Ein kleiner Spaziergang zum alten Pankower Wasserturm und ein Stop auf einer Bank am Spielplatz bot endlich eine Chance. Der Blick war dann doch nicht so toll, der Ausschnitt deckte sich nicht mit dem Motiv, das ich zu sehen erhoffte. Ich bekam den schlanken und den gedrungenen Turm nicht zusammen . Ich habe wenigstens eine Skizze der spielenden Kinder, -Baum drüber und gedrungenes Gebäude dahinter -, angelegt: time over, wir mussten zurück.
Gegen Abend konnte ich mich der mageren Ausbeute des Tages noch einmal zuwenden und in Richtung eines Bildes weiter behandeln. Ich finde, dass man am Ergebnis schön das Ringen um das Bild ablesen kann, das dann letztlich ein neues Bild–Motiv entstehen ließ.
Eine völlig andere Situation ergab sich am nächsten Tag. Wir wollten die Ausstellung „Wanderlust“ in der alten Nationalgalerie sehen. Angesichts der kilometerlangen Schlange haben wir uns auf der Wiese Liegestühle geschnappt ( „ Familiensonntag“) und im Halbschatten entspannt zugeschaut und gelesen. In Ruhe sind meine Augen über die Fassade mit allen Details gewandert und siehe da, das Postkarten–Motiv hatte seine Reize. Ohne Zeitdruck, die Motivation in harmonischer Übereinstimmung mit Situation und Gesehenem , konnten sich Motiv und Zeichnung entfalten.
EnglishSummary
„Motive“ is in the language of art and everyday life familiar. We know „motivation“ from Psychology and Behaviour Theory. If you study yourself practicing art you will notice that both act almost symbiotic.
Eine vertraute Situation: Die Ehefrau liebt Zitronen undnd folglich auch Zitronenbilder. „Mal mir doch ein Zitronenbild..!“ Ich habe null Lust. Nicht zuletzt deswegen, weil ich gerade intensiv mit Blech arbeite. Teils um den Druck abzubauen, teils aus Trotz, teils aus Lust an der Herausforderung, treibe und punze ich Zitronen-Formen in dünnes Alu-Blech. Schwer genug! Um aus den Zitronen ein Bild zu machen, lege ich einen flachen Teller drum herum. In dieselbe Richtung geht der Einsatz der Farbe. Die deutliche Ablehnung durch die Auftraggeberin war fast zu erwarten. Ich hatte den bearbeiteten Teil einfach auf dem Blech stehen lassen, um meinem Unbehagen an dem Kitsch- Effekt mit einer gewissen Ironie zu begegnen. Nicht jederfraus Sache! Also stand das ungeliebte Kind einige Zeit schmollend im Atelier. Gestern habe ich das Blech wieder in die Hand genommen, um auch die Umgebung des farbigen Teils zu gestalten. Im Moment entstehen große Relief – Formen ohne Themenbezug. Mal sehen ,was da heraus kommt. Im Grunde ist es das alte Thema aus etwas „misslungenem“ noch etwas zu machen. Oft genug ist das ja der Beginn ganz neuer Werkerfahrungen.Aus Erfahrung schliesse ich auch nicht aus, dass dann das neue Produkt, wenn auch nicht im Sinne des ursprünglichen Auftrags, doch noch Gnade findet.
P.s. Auf den Gedanken mit der Lust kam ich bei der Lektüre von Heinrich von Kleists Abhandlung „Über das allmählige Verfertigen von Gedanken beim Reden“. Dort weist der Autor auf eine für das Denken und Kommunizieren günstige „Erregung des Gemüts“ hin.
English Summary
My wife wanted me to paint a lemon—picture. Since I work with metal for some time, it was not what I really was interested in. I tried it with sheet metal and acrylic colours. She didn’t like that. So back in the studio. Now after some days I realized that I am still not ready with these lemons. So I started yesterday to punch the part of the aluminium, that is not painted in a kind of contrast to the lemons. Even if it is not the wanted picture it is certainly a new challenge and experience.
Ich hatte mal wieder einen Koller mit dem Bildermalen. Dabei geht es eigentlich immer um die Flächigkeit und den realen, plastischen Bildkörper. Da kam ich auf die Idee auf einem schon fertigen Bild mit farbigen Holzformen ein Relief aufzubauen. Das Bild einer Kokotte, das schon 2011 entstanden war und das mir zu vordergründig und platt war, bot einen interessanten Spielplatz. Die Formen stammen von einem „Alfabet“, das ich um 1995 entworfen und als Druckformen verwendet habe. Das spannende war die Entstehung eines plastischen Bildes nach ganz anderen Gesetzen als denen des Frauenbildes zu verfolgen. Auf jeden Fall half es mir aus meiner Blockade und löste die Produktion leichterer, verspielter Bilder, aus.
Das zugehörende Video stelle ich auch auf meinem YouTube-Kanal ‚ Axel von Criegern‘ ein.
EinFilm „What drawings tell“ mit biografischen Bezügen ist auf meinem YouTube-Kanal „Axel von Criegern“ zu finden
Eine sehr dichte Bleistift -Zeichnung , die in den vergangenen Tagen entstand, hat mich nachdenklich gemacht: Habe ich nicht schon immer wieder einmal so gezeichnet? Ich habe einige Arbeiten, die zwischen 1956 und heute entstanden sind, zusammengesucht:
1956– Mit 17 Jahren entstand das Selbstbildnis unter deutlichem Einfluss des Kubismus: Selbsterforschung und Selbstdarstellung als Künstler.
1958– Mit 19 Jahren Erproben eines expressiv- dekorativen Stils, der auch heute noch eine gewisse Bedeutung für mich hat.
1962– Verdichten als Mittel Gegenstände so sachlich wie möglich abzubilden und darzustellen.
1972-Verdichtung um sich dramatisch -politisch zu äußern (hier das anhaltende Thema des Vietnamkriegs). Provokation durch Kontrast mit einem Motiv A.Dürers. (Nach dem Abschluss der klassischen Kunstgeschichte und Archäologie mit einer Dissertation über Jan Steen wurde die Verbindung von Kunstgeschichte und eigener künstlerischer Praxis zu meinem didaktischen Leitmotiv.)
2008– Verdichten um ein literarisch vorgegebenes Thema eindringlich darzustellen. Ausgewogenes Verhältnis von Inhalt und künstlerischer Lösung ( seit 1979 vielseitige Erfahrungen als Illustrator. 1996 „Vom Text zum Bild. Wege ästhetischer Bildung“)
2018– Mit 78 Jahren deutliche Steigerung des Interesses an der grafisch-künstlerischen Qualität mit Hilfe der Verdichtung. Das Thema ist nicht vorgegeben, sondern die Zeichnung „verdichtet“ sich mit jedem Strich von der ungefähren Form hin zum „grafischen Gegenstand“.
English Summary
When drawing the last days it seemed to me a very familiar kind of drawing, that I practised since ever. I chose and compared drawings, not sketches, of various periods. 1956: The selfportrait of the 17 years old artist tells about orientation (cubism!) and curiosity. 1960- 2008: Drawings of the grown up, „settled“ artist are design statements and illustrations and show a good balance of matters and aesthetics. 2018 stands for the late artist, who has a major interest in the quality of performance and self- reference of art. Probably this is very different in everybodies life. But I think its worth to watch changes and devevelopments already in earlier years.
1956. Selbstporträt; Bleistift ,23×19,5 cm2008. „Die drei Tauben“, Federzeichnung zu Peter Prange „Die Gottessucherin“2018 „o.T.“ Bleistift, 16x 15 cm
Buch zu zwei Ausstellungen über ein Bild von Jan Steen (2004)
In der am 14. Januar zu Ende gegangenen Ausstellung von und über Alexander Kluge im Stuttgarter Kunstverein stieß ich auf Pier Paolo Pasolinos 20-minütigen Film „Cosa sono le nuvole?“ Für mich war das ein großes Erlebnis. Ich war wie gebannt. Dieser 1968 gedrehte Film enthält alles, was mich damals umtrieb und heute noch nachwirkt:Schauspieler, die wie Marionetten (Burattini) von oben mit Schnüren geführt werden, spielen Shakespears „Othello“: Jago (Toto´) dämonisch grasgrün angemalt, der Mohr mit großen Augen und unendlich naiv aus dem geschwärzten Gesicht blickend- das ganze Ensemble echte Straßentheater-Typen. Man kommt schnell zur Sache. Jago stiftet Othello dazu an die Gattin Desdemona aus ( unbegründeter) Eifersucht umzubringen. Das leuchtet dem Publikum überhaupt nicht ein, die Bühne wird gestürmt, Jago und Othello werden niedergerungen und von der Müllabfuhr entsorgt. Der angebliche Liebhaber und Desdemona werden gefeiert. Jago und Othello landen auf einer Müllkippe. Dort sehen sie das erste Mal den Himmel und Othello fragt den erfahreneren Jago, was das da oben sei und als der sagt „Wolken“, kommt das entwaffnende: Was sind Wolken?
Ebenfalls 1968 hat Kluge seinen preigekrönten Film „Artisten in der Zirkuskuppel:ratlos“ gedreht. Auch er bewegt sich in einer Fantasie-Wirklicheit. In Stuttgart greift er Pasolinis Gedanken der Verantwortung und Eingriffsmöglichkeiten aller Beteiligten unter Hinzuziehung weiteren Materials auf. Kluge stand der „Frankfurter Schule“ nahe und war mit Adorno befreundet. Uns Jüngeren war er als Kulturschaffender durchaus ein Begriff .Ich kann versuchen meine Situation 1968 zu beschreiben um die Einflüsse aufzuspüren. Aus Gesprächen mit Jüngeren weiß ich, daß unsere Offenheit nach allen Seiten und für alles einschließlich „multi tasking“ heute nicht mehr denkbar, bzw. anzuraten ist: Zugleich Kunstlehrer, Familienvater und Student, Galerist und Zeitungszeichner, von POP und Marx angezogen, Doktorand und Institutsstürmer. Die Wirkungen auf meine spätere Arbeit kann ich am deutlichsten am Versuch Kunstgeschichte und künstlerische Praxis zu verbinden, nachweisen.
Als „zweite, künstlerische Dissertation“ (Peter Klaus Schuster in seiner Eröffnungsrede der Ausstellung „Wie die Alten sungen…“ 1999 in der Kunsthalle Tübingen) begann ich 1996 JanSteens ( 1626-1679) Bilder regelrecht zu durchpflügen und alle denkbaren Aspekte einzubringen. Während die Dissertation (Vergl. “ Abfahrt von einem Wirtshaus“ in Oud Holland. Driemaandelijks Tijdschrift voor Nederlandse Kunstgeschiedenis, Nr. 1, 1971, S. 9-31) noch brav war, hatte ich in den Folgejahren schier grenzenlose Freiheit. Ohne den Schub von 1968 wäre die vielperspektivische, zum Alltag geöffnete, künstlerisch erweiterte und weitergeführte Auseinandersetzung mit historischen Kunstwerken , die bis zu einem Theaterstück, das die „Abfahrt“ als „Narrenschiff“ auslegt, geht, nicht denkbar gewesen.( Vergl. „Dramaturgie eines Bildes. Jan Steen (1626-1679), „Abfahrt von einem Wirtshaus“. Giessen, Tübingen 2004). Jetzt im fortgeschrittenen Alter ist es nicht immer einfach unschuldig zu fragen „Cosa sono le nuvole?“ Umso dankbarer bin ich für solche (selbst-)begeisternden Wiederbegegungen.
English Summary
Everybody has one day experienced the powerful impact of an artwork. That happened to me in an exhibition of Alexander Kluges latest works. Here was it particularly a film by Pier Paolo Pasolini “ Cosa sono le nuvole?“ ,What are clouds? Finally I found out, why I was so excited about that film and the way Alexander Kluge worked with it. The key is the year 1968, when we – Pasolini(born 1922, Kluge (born 1932) and me (born 1939) realized, that new cultural and social powers affected actual and future work and life.