1.) In den 1970er Jahren waren alte Rahmen „in“. So konnte es passieren, dass mir ein Trödler einen Goldrahmen mit Glas verkaufte. Auf meine Frage nach dem sehr schönen Pastell – Portrait eines Kindes, das in dem Rahmen steckte, meinte er „schmeiss es weg, wenn es dir nicht gefällt.“ Den Gefallen habe ich ihm nicht getan.Das Bild hängt mitsamt Rahmen in meiner Bibliothek. Dieser Rahmen-Mode stand bereits seit den 50er Jahren eine viel einflussreichere Strömung gegenüber, die auf Rahmen verzichtete und v.a. Leinwand-Bilder als Objekte sehen wollte. Unter diesen Voraussetzungen entwickelte sich das Bild bei einigen Künstlerinnen und Künstlern zu fast beliebig geformten, in den Raum ausgreifenden (Frank Stella!) Relief-Objekten. Eine weitere starke Strömung war es den Rahmen selbst als künstlerisches Thema aufzugreifen. Bei Magritte waren Rahmen, bzw. die Verbindung von Rahmen und Bild immer wieder Bildinhalte. Andere Künstler haben das Thema , das auch kunsttheoretisch und kunstgeschichtlich bedeutsam ist ( M.Broodhaers) weitergeführt.
2.) Vor drei Tagen fiel mein Blick auf ein Bild, das um 2000 entstanden sein muss. Ich hatte das kleine Schmuckstück nie unter dem Thema „Rahmen“ betrachtet. Dabei ist das Thema sogar mehrschichtig abgehandelt.
Durch einen breiten, dunklen Eiichenrahmen und zwei Passepartouts ergibt sich eine räumliche Wirkung, die durch eine kleine Rundnische, in der die Hauptfigur, ein Mädchen steht, noch vertieft wird. Diese kleine runde „Apsis“ passt zu der statuenhaften Ruhe, die das Mädchen ausstrahlt. Mit ihren großen Augen, offenen dunklen Haaren , dem karmesinroten Kleid ,weissen Strümpfen und Schnallenschuhen steht sie dem Betrachter frontal und ruhig gegenüber. In ihrer linken Hand hängt mehr als dass er gehalten wird eben jener Rahmen, mit dem das ganze Bild als Ganzes gerahmt ist. Ich empfinde jetzt beim genaueren Betrachten eine deutliche Spannung zwischen der Figur, die mit einer kaum wahrnehmbaren Unschärfe, einem „Sfumato“ gemalt ist , und dem im ersten Moment belanglos wirkenden Rahmen. Salopp gesagt, sieht es so aus, als ob ihr jemand in letzter Minute noch den Rahmen in die Hand gedrückt hat, damit das Ganze nicht zu steif wirkt. Der junge Maler war zur Zeit der Entstehung des Bildchens , nach eigener Aussage, u.a. von Balthus und seinen „Lolitas“ beeindruckt. Das mag bei der Wahl des Motivs „Mädchen „eine Rolle gespielt haben. Allerdings sind eine Reihe grundlegender Unterschiede hervorzuheben. Die kleine Nische , der direkte Blick und die festliche Kleidung unterstreichen die Besonderheit der jungen Dame und rücken sie in Richtung von Heiligendarstellungen. Eine ‚Jeanne d‘ Arc des Rahmens ’sozusagen. Für mich war das nicht nur eine verblüffende Wiederentdeckung eines über die Jahre allzu vertrauten Bildes, sondern auch eine so noch nicht gesehene Facette des Themas Rahmen. Um 1800 herrschte die Meinung vor, dass ein Kunstwerk sehr wohl einen Rahmen verdient hat. Durch den Rahmen wird noch die Eigengesetzlichkeit und Qualität des Bildes unterstrichen. Vor dem Hintergrund der christlichen Ikonografie trägt die kleine „Heilige“ ihr Attribut, einen Rahmen als Nachweis ihrer Identität bei sich. Übersetzt heißt sie „Kunst „- ohne wenn und aber. Das Bild wäre dann eine anmutige Allegorie der Kunst.
3.) Hier noch drei wichtige Literaturangaben zum Thema Rahmen:
Georg Simmel: “ Der Bildrahmen.Ein ästhetischer Versuch.“ (1902).In: Kramme, Ramstedt (Hg.) GS Gesamtausgabe,1995, S. 102-108
Jose‘ Ortega y Gasset: „Meditation über den Rahmen “ (1921). In ders. Über die Liebe..Meditationen, 1984, S. 61-72
Wolfgang Kemp:“Heimatrecht für Bilder.“ In: Mendeken,Eva (Hg.) In Perfect Harmony: Bild und Rahmen 1850-1920. Amsterdam (Katalog) 1995, S. 13-25