Gestern hatte ich ein Musikerlebnis der besonderen Art. Mit “Encore” war ein neues Format des Zugangs zur modernen Musik versprochen worden. Initiatoren waren mehrere Musiker und Musikvermittler um Andreas Grau, die eine Hälfte des Klavierduos Grau/Schuhmacher. Gespielt wurde ein Klavier -Trio der französischen Komponistin Claude Arrieu (1903-1990) vom „Trio Parnassus“. Das neue Format gründete auf der Idee das Trio zweimal zu spielen, eingeleitet von einem Moderator und erarbeitet durch Moderator ,Musiker und Publikum, sowie Demonstrationen der Musiker zwischen den beiden Aufführungen. Der Karten verkaufende Andreas Grau, Dr. Achim Stricker als hervorragender Musikkritiker der SÜDWESTPRESSE als Moderator und nicht zuletzt Julia Galic schafften von Beginn an ein Klima der freudig gespannten Neugierde . Ein großes Erlebnis !
Ich fand es beschämend, dass ich mich nicht traute, eine Frage zu stellen, die mich brennend interessierte: Haben die Musiker auch etwas von dieser Diskussion gehabt? Und wenn, was ? Den Pianisten des Trios Johannes Blanchard habe ich die Frage nach der Wiederholung gestellt. Spontan meinte er dass er vom Wissen Achim Strickers sehr beeindruckt war, und dabei auch Neues gelernt habe, aber nicht glaube, dass sein/ihr Spiel davon irgendwie beeinflusst wurde. Das würde vielmehr durch den Diskurs im Zusammenspiel mit der Praxis beim Erarbeiten der Komposition geschehen. Da war ich wiederum etwas enttäuscht, weil ich mir vorstellte, dass das öffentliche Zerlegen und wieder Zusammenfügen der Musik zu einem bewussteren Spiel einzelner Passagen geführt hätte. Wenn ich es richtig verstehe spielt lediglich der Diskurs im Trio selbst eine Rolle. Verbesserungen kommen nur von Vorschlägen der drei Musiker, bzw. müssen von diesen umgesetzt werden. Das gilt dann selbst für Korrekturvorschläge hochgeschätzter Kolleginnen und Kollegen.Der kurz vorbeischauende Andreas Grau reagierte im selben Sinn
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Die Sache mit der Enttäuschung hat bei mir wahrscheinlich ihren Ursprung darin, dass ich selbst aus der fehlenden oder nicht stimmigen Anleitung der Arbeit und der Diskurse an der Kunstakademie heraus die Methoden und Erkenntnisse der Geisteswissenschaften hoch schätzte. Das ging soweit, dass ich nach dem Kunststudium beschloss an der Universität Tübingen Kunstgeschichte und Archäologie zu studieren. Das Thema der Dissertation waren die Fröhlichen Gesellschaften des niederländischen Malers Jan Steen (1626-79). Dieses Thema blieb in unzähligen Facetten von der kunsthistorischen Diskussion bis zur eigenen künstlerischen Arbeit ein zentrales Thema bis heute.
Aufgrund meiner beruflichen Praxis als Kunstpädagoge rückten die Fragen der künstlerischen Lern-und Lehrarbeit ins Zentrum meines Interesses. Daraus ergab sich die Vorstellung des Spiels mit den Lernenden als Modell. Ein offenes , fortschreitendes, das Verlieren und Versagen einschließendes Spiel. Da gabs kein Belehren, sondern Lernen als Mannschaftsspiel. Mein eigenes Interesse am Lernen sollte meine Aktivitäten bestimmen und die anderen „Teamplayer“ zu Verantwortlichen des Spielverlaufs machen. Auf andere Felder übertragen sind das Trainer, Regisseure , „Spielleiter“, Dramaturgen u.ä. Ich wollte nicht belehren,, sondern mit meinen Möglichkeiten die Mitspieler in ihren Möglichkeiten erfolgreich , bzw. besser machen.. Das war zugegebenermassen weit weg vom Format „Encore“.
Was lief da auseinander? Was ich meine ist dem Erarbeiten der Komposition durch die Mitglieder des „Parnassos“ vergleichbar. Jedes Mitglied ist gleichberechtigt. Jede/jeder gibt das Beste. Es gibt keinen Moderator und kein Publikum. Was von Anfang an anders ist, ist das Ziel. In „meinem“ Modell ist die individuelle, originelle Leistung das Ziel. Auch bei der Bearbeitung eines Bildes oder Motivs des Malers Jan Steen gibt es kein „angemessen“ oder „richtig“. Was ist in diesem Fall die Qualität? Das ist die schwierigste Frage.Das Ergebnis soll aussehen wie Kunst! Und zwar aus sich heraus, nicht in der Nachahmung eines Vorbildes. Und noch ein Punkt. Der künstlerische Prozess kann an jedem beliebigen Erlebnis einsetzen. Ich nehme als Beispiel eine Beobachtung.
Ich hatte mich im Haus in Italien in ein Zimmer zurückgezogen, als ein kleiner Gecko auf der gläsernen Tür erschien. Das von Innen nach Außen Beobachten fand ich so aufregend dass ich die Situation unbedingt fotografieren wollte. Ich wollte so nah wie möglich an das Motiv ohne das Tier zu erschrecken und zu verjagen. Es konnte mit meiner iPhone Kamera auch keine professionelle Tier-Fotografie werden. Im übrigen ging es um eine Situation, einen Blick, ein Erlebnis.
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Das Tier auf der Glasscheibe ist von Außen beleuchtet und bewegt sich in in einem unbestimmten Raum. Der Steinboden ausserhalb, die Eisenteile und die verputzte Zimmerwand sind ein harter Rahmen für das verletzliche Tier. Die Aufteilung der Bildfläche liegt unbeabsichtigt in der Gegend des goldenen Schnitts. Das Bild habe ich auch nicht nachträglich bearbeitet. Ich denke, dass dadurch der geglückte Moment, der Kunst-Trigger , fast beiläufig erkennbar wird.