Ist Kunst immer politisch…?(art77blog.axel- von-criegern.de Nr. 282)

Politisches Engagement kennt meine künstlerische Arbeit schon länger nicht mehr. Jetzt habe ich das beunruhigende Gefühl, dass die tagespolitische Entwicklung auf meine Bilder zugreift. Nicht direkt im Sinne von pandemisch oder grundrechtlich, sondern im Sinne von Angriffen auf meine Unbefangenheit (auch einer Art von Freiheit). Als ich vorgestern das Bild für diesen Blogpost zu zeichnen begann, war ich noch ganz besessen von der Vorstellung Farbfelder und grafische Zeichen in einen noch offeneren Dialog zu stellen als in den vergangenen Wochen. Dann wurde die Offenheit so groß, dass ich offensichtlich durch eine Kreisform zumindest den zentralen Bereich zusammenfassen wollte. Damit habe ich meine ursprüngliche Intention ‚abgewürgt‘. Wie weit dabei das corona-politische Chaos aktiv mitwirkte, kann ich nicht analysieren, gefühlt ist es so. Nicht umsonst kennen wir in der Kulturgeschichte die Kreisform als bergende, schützende Eingrenzung (Stadtmauern) oder als kultische, rituelle Form von starker Suggestion ( Stonehenge u.v.a.). In einer anderen, grafischen Ausprägung hebt die Kreisform Inhalte hervor, sei es als Nimbus(„Heiligenschein“), oder als hoheitliche Betonung eines sehr häufig politischen Symbols (Kreuz,Stern) . Hierzu gehört übrigens auch das Zeichen für „copyright“: ©️. Was mein Bild angeht, sehe ich einen Verlust an Freiheit und Offenheit. Politisch im üblichen ist das wohl nicht.

English Summary
I don’t know how much the Corona- poltical development during the last two days effected my actual design. My artistic intentions are momentarily open structures. I didn’t feel good, when I realized, that the circle in the center restricted this development. Is this a political impact on my art? Maybe, maybe not.😉

„Fremd -Schreiben“ (art77blog.axel-von-criegern.de, Nr.281)

Zur Erinnerung: Über mehrere Wochen (posts) habe ich mich in das Thema der Graphic Novel gekniet. In diesem Bild kommen mehrere der dabei gewonnenen Erkenntnisse zum Tragen.

Gegen die ‚Versuchung’ des Illustrierens hilft nur die Konzentration auf die Bildstruktur und auf die grafischen Elemente . In meinem Fall ist es ein den Schriftzeichen verwandtes „Graphem“.
Die Seiten des ‚grafischen Romans‘ werden nach den Bildvorstellungen der jeweiligen Autor*innen strukturiert. Ich baue gern Spannungen auf und entwickle im Zusammenwirken der bewusst getrennten Bildteile das eigentliche Bild. Diese Spannungen sind mutwillig in Kauf genommene Herausforderungen. Mir fiel dazu der Titel eines Films von Alexander Kluge ein: „Die Artisten in der Zirkus-Kuppel: ratlos.“ (1968). Es gibt kein Rezept, keine Regel oder Gesetz. Man ist völlig auf die eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen angewiesen. Vorweg sind ja schon Entscheidungen zu Technik und Charakter/Stil gefallen. Der berühmt-berüchtigte richtige Moment (cairos), Lust, Lockerkeit, Stimmung hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren ab. Ich helfe gern, wie jetzt beim Schreiben, mit einem Espresso oder Cappuccino nach.

DieZirkuskuppel

Der erste grosse „Absprung“ war von dem Element ganz rechts mit dem dunklen ‚Bild‘ in der Mitte, mit dem ich begonnen habe,in Richtung auf das als nächstes entstandene, lockere Element ganz links eine Brücke zu bauen. Der Abstand war unerträglich gross. Es entwickelte sich eine regelrechte Web-Arbeit . Eigentlich wollte ich nur in dem hellen Teil links etwas Farbe als dynamischen Kontrast zu rechts haben . Das ließ sich aber nicht halten. Also sprang die Farbe in einem munteren Spiel weiter. Das galt in gleicher Weise für meine Schriftzeichen. Nun ja, irgendwann war ich zufrieden, bzw. habe aufgehört.

Fremd-Schreiben

Für mein künstlerisches Dauerthema ‚Schift und Bild‘ bekam ich gestern noch einen sehr interessanten Impuls. Ein Büchlein der gefeierten Übersetzerin und Autorin Esther Kinsky heißt „Fremd-Sprechen“ (2013, Paperback-Ausgabe 2019). Wie gesagt, liebe ich Schriftzeichen als äthetische Elemente. Zwischen den Schriftzeichen und dem daraus entstehenden Ge-Bilde gähnt auch etwas Fremdes‘, Unbekanntes, Unsicheres. Die Schriftzeichen in einen ästhetischen Zusammenhang zu „übersetzen“ bedeutet Spiel aber auch höchste Anspannung, „Fremd-Schreiben“. Anders als bei einem Auftrag in der angewandten Grafik sind die Zeichen nicht mit der Vorgabe der Lesbarkeit zu verwenden. Sie können sozusagen bis zum Urgrund aller Schriften und Bildzeichen zurückgeführt werden. Es gibt genügend Beispiele für reine Punktbilder oder Texte, die sich über Körper bis zur Unleserlichkeit spannen.
Abschließend möchte ich mich für die Komplexität der hier angesprochenen Gedanken entschuldigen. Sie alle münden in meinem „spleen“ , dass Kunst ‚nur‘ ein Bereich der Kommunikation ist. Alle „Ikonoklasten“ (Bilderfeinde) mögen aufatmen und sagen : „ na siehste!“

English Summary.
With this picture I bring my venture Graphic Novel to an end. There were some negative experiences, but also new insights: My personal art tools are related to letters and stand for my dream of a united communication with art as part of it. Another item is my way to create pictures starting with a strong tension. Handling this tension is in a way fun but also pain. You feel and see that filling the gaps between the poles with life is fundamental for your art, but there exists no rule how to manage this
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Die Lehre von Jan Steen(1626-79). art77blog.axel-von-criegern. Nr.280

Das Bild sieht so aus, als hätte ich es von Steens Bild im Metropolitan Museum New York abgemalt. Genau das habe ich aber nicht getan. Stattdessen habe ich das mir durch und durch vertraute Bild Steens zu einem eigenen gemacht- es mir angeeignet. Der Unterschied zu den vielen anderen Bildern, in denen ich mich der „Lustigen Gesellschaft“ angenähert habe, geht es hier nicht um Verständnis, sondern um „ mein“ Bild. Die Basis dafür ist allerdings eine vielseitige und vielschichtige kunstwissenschaftliche, didaktische und später praktische Annäherung und Auseinandersetzung.
Neben dem #Studium der Ikonologie, der zeitgenössischen Literatur, des Theaters war es ein Modell des Raumes, in dem das Bild „spielt“, das mich ihm näher gebracht hat.

Was das für mein Bild bedeutet? Erst einmal eine gewisse Sicherheit beim Navigieren zwischen den ‚ikonografischen Einheiten‘. Dann das Wissen über die stabile Struktur, die diese ‚Einheiten‘ trägt, die form-und farbsichere Komposition. Und nicht zuletzt meine eigene Gewissheit darüber, dass ‚Abmalen‘ sehr wohl zu einem eigenen, neuen, „dritten“ Bild führen kann.

Und die ‚Lehre‘ ?
1. Keine Angst vor dem Abmalen. 2. Sich soviel wie möglich Wissen über das Vorbild aneignen. 3. Den eigenen gestalterischen Fähigkeiten vertrauen. 4. Die Qualität des Vorbildes mit allen Mitteln zu erreichen versuchen und daran die eigenen Schritte messen. 5. Diese Empfehlungen um Himmels Willen nur als Anregung verstehen!!!!😉

# „Studium“ :vergl. axel-von-criegern (home page „Jan Steen und ich“)

English Summary

There is no doubt that the long discussion about a special visual language for Graphic Novels influenced my decision for this last step: to depict a painting without copying it. But this is a really tough challenge! There is certainly no recipe. Of course you need some skills and of course it’s good to know something about the artist, the subject, the style, history. But more important is the emotional base: a good reason for this venture and selfconfidence in the sense of „I make it mine, but I do it my way!!!“

Die „Transferstruktur“ (art77blog.axel-von-Criegern.de Nr.279)

„Transferstruktur“, Mixed Media, Collage a.Papier 43×56 cm ©️von Criegern 2021

Diesen Begriff habe ich bereits 1974 in Bezug auf das New Yorker Bild geprägt und in einem #Aufsatz für eine Festschrift veröffentlicht. Er verrät den mir damals besonders wichtigen Begriff „Struktur“ als ikonologisches Bauprinzip von Bildern. Mit dem „Transfer“ wollte ich die bis dato ausschließlich kunsthistorische Methode hin zu alltäglicheren Beobachtungen öffnen. Damals war das Ergebnis eines solchen Transfers ein geändertes „Bewusstsein“ (was immer das auch sein mochte). Zwei Jahre später bezog ich Im Rahmen der #„Fotodidaktik als Bildlehre“ unser Bild u.a. dann auf eine Werbung für „Henkell“-Sekt. In beiden Fällen war die #„ikonologische Struktur“ ein wichtiges methodisches Vehikel. Mit diesem Begriff meinte ich so etwas wie eine inhaltliche Komposition des Bildes. Zwar taucht das New Yorker Bild auch später noch in meinen #Veröffentlichungen auf, blieb aber immer weit von einer Umsetzung in die eigene Praxis entfernt. Als ich ab 1996 nach einer ersten #Annäherung (Zeitschrift für Kunstpädagogik 1984) die eigene künstlerische Auseinandersetzung mit Jan Steen ernst nahm, war auch das New Yorker Bild Gegenstand einer solchen Auseinandersetzung (Vergl. ausführlich meine Jan Steen-Internet-Seite #axel-von-criegern.de“). Auch diese Arbeiten präsentierte ich in einem ehrgeizigen Projekt: #“Lustige Gesellschaft auf einer Gartenterrasse. Ein Bild-Bild-Diskurs über ein Gemälde des niederländischen Malers Jan Steen (1626-1679).“

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Graphic Novel forderte nun die eigene künstlerische Arbeit in ganz anderer Weise heraus. Sie war nicht mehr der umfassende Versuch ein Bild Steens unter Einsatz der Praxis noch weiter zu “öffnen”. Jetzt steht die eigene Praxis im Mittelpunkt und sucht in der (Wieder ) Begegnung ANREGUNGEN für die eigene Weiterentwicklung. Aber auch hier kann ich’s wohl nicht ganz lassen. Meiner eigenen Anforderung an eine Graphic Novel folgend , entwerfe ich Bilder, die meinen Umgang mit dem älteren niederländischen Kollegen lohnend und überzeugend darstellen. Hier also den älteren Gedanken einer “Transferstruktur” zum Anstoss nehmend.

English Summary

It is a long journey from reflecting an “iconologic structure” of an historic artwork to producing an own work in an dialogue with the elder work. When I talked about “Transferstruktur” in the year 1974 I didn’t mean my own artistic practice. This changed beginning 1984 and became an essential part of my work since 1996. When it came to a discussion of what a Graphic Novel makes special, I remembered my long experience with the “Company on a garden terrace” by Jan Steen (Metropolitan Museum New York) to design the actual picture.

#1974: „Die Transferstruktur- zum Gegenwartsbezug eines niederländischen Gesellschaftsbildes“. In: W.Ebert (Hrsg.) Kunstpädagogik´74. Festschrift für Reinhardt Pfennig.Düsseldorf 1974.

#1976: Fotodidaktik als Bildlehre. Berlin 1976, S. 125-157

#1981,1991(2.Aufl.) Bilder interpretieren, Düsseldorf 1981; S. 74-80

#1984 „Skizzieren als ikonologisches Training.“ In: Zeitschrift für Kunstpädagogik 1/1984

#2006: Lustige Gesellschaft auf einer Gartenterrasse. Ein Bild-Bild-Diskurs über ein Gemälde des niederländischen Malers Jan Steen (1626-1679), München 2006

#2008: „Lustige Gesellschaft auf einer Gartenterrasse“, http//: axel-von-criegern.de

#2009: Meine Bilder, Wasmuth 2009