Gibt es die plastische Zeit? (Art77blog.axel-von-criegern.de; Nr.425)

Hier ist mir ein  verführerischer Ausdruck zugefallen, der nach moderner Physik klingt. Dabei habe ich an etwas anderes gedacht.Ganz anders als beim Zeichnen, oder sagen wir besser skizzieren erfordert die plastische Arbeit mit einem härteren Material, wie z.B. der lange gelagerte Nußbaum, viel Zeit. Und auch das muß sofort relativiert werden. Wenn ich den Nußbaum grob spalte und säge und mit dem Ergebnis rasch zufrieden bin, trifft das schon nicht mehr zu. Ich muss meine Behauptung an meinen gegenwärtigen Erfahrungen festmachen!

Weil ich keine Maschinen verwende um das langsame Klären der Form bewußt zu begleiten, ziehen sich die Produktionszeiten in die Länge. Der Vorteil ist der intensive Austausch von Vorstellung und Produktion (Schnitzen). Es ist also nicht so, dass die Zeit handwerklich, d.h.beim Herstellen eines ´Stückes’ verbraucht wird, sondern ohne definiertes Ziel beim Schnitzen “verrinnt”. Hier komme ich zur Vorstellung, dass Zeit beim Schnitzen entsteht. Zeit bedeutet dann, dass jeder Schritt nicht nur Zeit, sondern seine eigene Zeit hat. Diese Zeit ist untrennbar mit der Form, dem sich verändernden Material (Form) verbunden. So gesehen gibt es eine “plastische Zeit”. Wahrscheinlich verhake ich mich hier in einer schon bestehenden Zeit-Theorie. Schon der Gedanke an ein Blatt, das vom Baum fällt oder ‘segelt’, läßt an Galileo denken. Möglicherweise geht es bei meiner Beobachtung um die erlebte Zeit beim Schnitzen und nicht um die Fertigung eines Produkts.

#art77blog #Holzschnitzen #Produkt #Zeit #Material #Nussbaum #”Wie geht Kunst?”axel von criegern,  2019 #Ziel # Form.

 

 

Frühling

Ich nenne es Frühling. Nachdem art77blog Nr.331 vergangene Woche veröffentlicht war, nagte eine unterschwellige Unzufriedenheit an mir: War es nötig gewesen meine künstlerischen Leistungen so in Frage zu stellen? Irgendetwas ist da falsch gelaufen. Ich glaube alle kennen die Lähmung, die sich danach einstellte. Soll man nicht überhaupt den Bettel hinschmeissen?

Und dann kamen diese unglaublichen Sonnentage. Wie ein Hund im trockenen Laub rumschnüffelt, suchte ich den künstlerischen Sinn meiner Arbeit. Und füllte Seite um Seite. Am Ende war es der Rhythmus, der als Grundmotiv übrig blieb. Das Schreiben ging in frei schwingende Linien über. Diese entdeckte ich nun auch in der kleinen Buchsbaum-Arbeit, an der ich jeden Tag ein Stückchen weiter komme. Noch überraschender war der befreite Blick, der sich jetzt einstellte. Das Rot der kleinen Dickmadam leuchtete so belebend, daß ich beschloß eine der sich aus dem Schreiben lösenden Linienzeichnungen zu aquarellieren. 

Die sich zum Positiven wendende Sicht der Dinge bezog sich auch auf den sich  nun schon so lange dahinschleppenden Corona-Blues und den grausamen russisch-ukrainischen Krieg. Es war als ob sich das Ich aus der lähmenden Depression frei machte und die Nachrichten als solche wahrnehmen konnte.

Und jetzt komme ich zum Frühling zurück. Ein Blick in die Geschichte der Literatur, der Dichtung, der Buchmalerei und Kunst zeigt dieselbe euphorisierende Wirkung des Mythos Frühling. 

Und die macht offenbar auch nicht vor dem Alter halt!

 

 

„So etwas von verrannt!“ (art77blog, Nr. 161)

 

Axel von Criegern „Ungewolltes Glasfenster“ 2018, Aquarell, 30×22 cm ©️                                                                                       Leider kommt diese Selbsterkenntnis immer erst hinterher. Und der Ärger ist besonders groß, weil die Falle selbst gestellt wurde. 
„Ungewolltes Glasfenster „ Skizze, Grafit

Ausgang war mein ewiges Spiel mit ‚flächig‘ und ‚räumlich‘. Mit Grafit habe ich auf einem gerade vor mir liegenden, rauhen Aquarellpapier zu ‚Figur‘ im ‚Raum‘ skizziert.Eine gewisse Tiefe, wollte ich haben, aber keine Zentralperspektive, also eine Art #‚fraktaler Raum‘. Ich denke, das kann man an der Skizze ablesen. Ein paar Wischer schufen Atmosphäre und verbanden die einzelnen Teile (Motive) zur Illusion eines Raumes.

„Ungewolltes Glasfenster“, Zwischen-Zustand

Das war der Auslöser dafür mit verteilt gesetzten Aquarell-Flächen das Gewebe (Textur) dichter und spannungsreicher zu machen. Jetzt nahm das Drama seinen Lauf. Die Farbe machte die Raum-Illusion wieder ‚platt‘. Anstatt nun das Bild mit Raum-Farb-Akzenten ‚offen‘ zu lassen, verstärkte ich die grafischen Akzente und betonte wenige Tiefen-Linien.Die Falle schnappte zu.

Um dem erkennbaren Auseinanderfallen der Komposition entgegen zu wirken, benutzte ich die schwarzen Linien als Klammern. Natürlich fielen mir dabei Glasfenster mit ihren Bleiruten ein. Zeitlich liegen Adolf Hölzels Glasfenster vom Beginn des letzten Jahrhunderts nahe. Aber das war nicht das, was ich gewollt hatte. Es ist ein Bild geworden, das ich am liebsten #aufschneiden würde, um mich aus der Falle zu befreien. Vielleicht sehe ich die Sache aber in ein paar Tagen auch anders…

English Summary 

I made the bad experience of  running into a selfmade trap. Instead of an airy , breathing space I created a  rigid design similar  a stained glass window. O.K. that happens.

Es gibt nichts Aufregenderes als das Entstehen von Kunst. (art77blog.Nr. 155)

Bild 1: Blick auf das Wilhelmstift mi Hauptportal und Lange Gasse. Graffit auf Bütten , 201 8, ©abc 2018
Bild 2: Blick auf die Gartenseite. Erweiterung der Perspektive. Grafit auf Bütten©️avc 2018
Bild 3: Leute, die vorbeigingen ( Entspannung, sehr warm); Grafit auf Bütten; ©️avc 2018
Bild 4: Rückkehr zum Ort des Verbrechens um Details festzuhalten. Grafit auf Bütten©️avc 2018

Ob meine künstlerische Arbeit oder die anderer, wenn eine Arbeit als fertig verstanden wird, ist die Spannung raus. Das hat nichts mit der Qualität zu tun.Das fiel mir beim Blick in mein Skizzenbuch auf, in dem die Annäherung an das Bild „Wilhelmstift“ festgehalten sind.

English Summary 

Very often  I find the approach to a an art- challenge much more exciting then the solution, the „work“ itself. Of course you may say: depends…

Motiv und Motivation (art77blog Nr.151)

„Am alten Pankower Wasserturm“ , Smartphone, My brushes pro. ©️Axel von Criegern 2018

Der Begriff „Motiv“ ist der Kunst- und in Alltagssprache gleichermaßen vertraut. „Motivation“ ordnen wir dagegen zuallererst der Psychologie zu. In der künstlerischen Arbeit verschmelzen die beiden Begriffe. Das wurde mir deutlich, als ich während eines Berlin-Aufenthalts zwar die immer vorhandene Motivation (Lust ,fast ein Plichtgefühl) am Auseinandersetzen mit der Umgebung verspürte, aber keine rechte Gelegenheit dazu fand. Ein kleiner Spaziergang zum alten Pankower Wasserturm und ein Stop auf einer Bank am Spielplatz bot endlich eine Chance. Der Blick war dann doch nicht so toll, der Ausschnitt deckte sich nicht mit dem Motiv, das ich zu sehen erhoffte. Ich bekam den schlanken und den gedrungenen Turm nicht zusammen . Ich habe wenigstens eine Skizze der spielenden Kinder, -Baum drüber und gedrungenes Gebäude dahinter -, angelegt: time over, wir mussten zurück.

Gegen Abend konnte ich mich der mageren Ausbeute des Tages noch einmal zuwenden und in Richtung eines Bildes weiter behandeln. Ich finde, dass man am Ergebnis schön das Ringen um das Bild ablesen kann, das dann letztlich ein neues BildMotiv entstehen ließ.

„Alte Nationalgalerie“, Smartphone, My brushes pro; ©️Axel von Criegern 2018

Eine völlig andere Situation ergab sich am nächsten Tag. Wir wollten die Ausstellung „Wanderlust“ in der alten Nationalgalerie sehen. Angesichts der kilometerlangen Schlange haben wir uns auf der Wiese Liegestühle geschnappt ( „ Familiensonntag“) und im Halbschatten entspannt zugeschaut und gelesen. In Ruhe sind meine Augen über die Fassade mit allen Details gewandert und siehe da, das PostkartenMotiv  hatte seine Reize. Ohne Zeitdruck, die Motivation in harmonischer Übereinstimmung mit Situation und Gesehenem , konnten sich Motiv und Zeichnung entfalten.

English Summary

Motive“ is in the language of art and everyday life familiar. We know „motivation“ from Psychology and Behaviour Theory. If you study yourself practicing art you will notice that both act almost symbiotic.

 

Lust und Unlust (art77blog Nr.140)

 AvC: Zitronen, Aluminium und Acryl, 2018 ©️

Eine vertraute Situation: Die Ehefrau liebt Zitronen  undnd folglich auch Zitronenbilder. „Mal mir doch ein Zitronenbild..!“ Ich habe null Lust. Nicht zuletzt deswegen, weil ich gerade intensiv mit Blech arbeite. Teils um den Druck abzubauen, teils aus Trotz, teils aus Lust an der Herausforderung, treibe und punze ich Zitronen-Formen in dünnes Alu-Blech. Schwer genug! Um aus den Zitronen ein Bild zu machen, lege ich einen flachen Teller drum herum. In dieselbe Richtung geht der Einsatz der Farbe. Die deutliche Ablehnung durch die Auftraggeberin war fast zu erwarten. Ich hatte den bearbeiteten Teil einfach auf dem Blech stehen lassen, um meinem Unbehagen an dem Kitsch- Effekt mit einer gewissen Ironie zu begegnen. Nicht jederfraus Sache! Also stand das ungeliebte Kind einige Zeit schmollend im Atelier. Gestern habe ich das Blech wieder in die Hand genommen, um auch die Umgebung des farbigen Teils zu gestalten. Im Moment entstehen große Relief – Formen ohne Themenbezug. Mal sehen ,was da heraus kommt. Im Grunde ist es das alte Thema aus etwas „misslungenem“ noch etwas zu machen. Oft genug ist das ja der Beginn ganz neuer Werkerfahrungen.Aus Erfahrung schliesse ich auch nicht aus, dass dann das neue Produkt, wenn auch nicht im Sinne des ursprünglichen Auftrags, doch noch Gnade findet.

P.s. Auf den Gedanken mit der Lust kam ich bei der Lektüre von Heinrich von Kleists  Abhandlung „Über das allmählige Verfertigen von Gedanken beim Reden“. Dort weist der Autor auf  eine für das Denken und Kommunizieren günstige „Erregung des Gemüts“ hin.

English Summary

My wife wanted me to paint a lemon—picture.   Since I work with metal for some time, it was not what I really was interested in. I tried it with sheet metal and acrylic colours. She didn’t like that. So back in the studio. Now after some days I realized that I am still not ready with these lemons. So I started yesterday to punch the part of the aluminium, that is not painted in a kind of contrast to the lemons. Even if it is not the wanted picture it is certainly a new challenge and experience.

 

L

Lady in Art (art77blog Nr. 138)

Ich hatte mal wieder einen Koller mit dem Bildermalen. Dabei geht es eigentlich immer um die Flächigkeit und den realen, plastischen Bildkörper. Da kam ich auf die Idee auf einem schon fertigen Bild mit farbigen Holzformen ein Relief aufzubauen. Das Bild einer Kokotte, das schon 2011 entstanden war und das mir zu vordergründig und platt war, bot einen interessanten Spielplatz. Die Formen stammen von einem „Alfabet“, das ich um 1995 entworfen und als Druckformen verwendet habe. Das spannende war die Entstehung eines plastischen Bildes nach ganz anderen Gesetzen als denen des Frauenbildes zu verfolgen. Auf jeden Fall half es mir aus meiner Blockade und löste die Produktion leichterer, verspielter Bilder, aus.

Das zugehörende Video stelle ich auch auf meinem YouTube-Kanal ‚ Axel von Criegern‘ ein.

Was Zeichnungen verraten (Nr. 133)

1958. Weibliche Figur. Feder, Tusche laviert; 28x23cm

Ein Film „What drawings tell“  mit biografischen Bezügen ist auf meinem YouTube-Kanal „Axel von Criegern“ zu finden

Eine sehr dichte Bleistift -Zeichnung , die in den vergangenen Tagen entstand, hat mich nachdenklich gemacht: Habe ich nicht schon immer wieder einmal so gezeichnet?  Ich habe einige Arbeiten, die zwischen 1956 und heute entstanden sind, zusammengesucht:

1956– Mit 17 Jahren entstand das Selbstbildnis unter deutlichem Einfluss des Kubismus: Selbsterforschung und Selbstdarstellung als Künstler.

1958– Mit 19 Jahren Erproben eines expressiv- dekorativen Stils, der auch heute noch eine gewisse Bedeutung für mich hat.

1962– Verdichten als Mittel Gegenstände so sachlich wie möglich abzubilden und darzustellen.

1972-Verdichtung um sich dramatisch -politisch zu äußern (hier das anhaltende Thema des Vietnamkriegs). Provokation durch Kontrast mit einem Motiv A.Dürers. (Nach dem Abschluss der klassischen Kunstgeschichte und Archäologie mit einer Dissertation über Jan Steen wurde die Verbindung von Kunstgeschichte und eigener künstlerischer Praxis  zu meinem didaktischen Leitmotiv.)

2008– Verdichten um ein literarisch vorgegebenes Thema eindringlich darzustellen. Ausgewogenes  Verhältnis von Inhalt und künstlerischer Lösung ( seit 1979 vielseitige Erfahrungen als Illustrator. 1996 „Vom Text zum Bild. Wege ästhetischer Bildung“)

2018– Mit 78 Jahren deutliche Steigerung des Interesses an der grafisch-künstlerischen Qualität mit Hilfe der Verdichtung. Das Thema ist nicht vorgegeben, sondern die Zeichnung „verdichtet“ sich mit jedem Strich von der ungefähren Form hin zum „grafischen Gegenstand“.

 

English Summary

When drawing the last days it seemed to me a very familiar kind of drawing, that I practised since ever. I chose and compared drawings, not sketches, of various periods. 1956: The selfportrait of the 17 years old  artist tells about orientation (cubism!) and curiosity. 1960- 2008: Drawings of the grown up, „settled“ artist are design statements and illustrations and show a good balance of matters and aesthetics. 2018 stands for the late artist, who has a major interest in the quality of performance and self- reference of art. Probably this is very different in everybodies life. But I think its worth to watch changes and devevelopments already in earlier years.

1956. Selbstporträt; Bleistift ,23×19,5 cm
2008. „Die drei Tauben“, Federzeichnung zu Peter Prange „Die Gottessucherin“
2018 „o.T.“ Bleistift, 16x 15 cm