Systemstörung (art77blog.axel-von-criegern.de. Nr. 342)

Ich sagte ja schon vergangene Woche, daß ich für die Systemtheorie (Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp 1987) eine Schwäche habe. Sie macht das Denken einfacher, in dem sie äußere Einflüsse ausschließt. Vor drei Tagen wurde das zur Erfahrung. Drei Aufträge unterschiedlicher Bedeutung und Dringlichkeit warteten. Dennoch hatte ich am nächsten Morgen ein scheussliches Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit. Ich ging ins Erdgeschoß um mich im Atelier dieser Situation zu stellen. Es klingt mysteriös, aber in diesem Raum kehrte bei mir Ruhe ein. Das ganze Atelier wurde zum erquickenden Welttheater. Im Morgenlicht leuchtete lackiertes Blech, die versammelten Materialien erzählten ihre Geschichten, die gelagerten Arbeiten gaben Selbstvertrauen zurück. Was war eigentlich geschehen? Die beunruhigenden Nachrichten rings um den russischen Überfall auf die Ukraine, die bei uns anstehenden politischen, ja weltanschaulichen Veränderungen, und und und…Darüber traten die noch Tage zuvor bedrückenden Corona-Entwicklungen, die wirtschaftlichen Entwicklungen und Arbeitsstreitigkeiten in den Hintergrund. Das Ganze stellte aber mein Kunst-System  in Frage und machte die Unfähigkeit solche Themen einzubeziehen, deutlich.  Sich das klar zu machen, wirkte befreiend. Ich konnte wieder nach vorn schauen und mit Schwung weiterarbeiten. Die anstehenden Arbeiten habe ich in Form eines Stilllebens angeordnet  und als “Trampolin” für die nächste große Aufgabe, ein wunderbares Stück Lindenbaum zu gestalten, verwendet. Heute habe ich die ersten Schläge mit dem Stechbeitel gemacht und bin durch Rinde und Bast zum duftenden Lindenholz vorgedrungen. Damit ist die Systemstörung Vergangenheit.

I already said last week that I have a weakness for systems theory. It makes thinking easier by excluding external influences. Three days ago this became an experience.
Three jobs of varying importance and urgency were waiting. Still, the next morning I had an awful feeling of emptiness and meaninglessness. I went downstairs to face this situation in the studio. It sounds mysterious, but I calmed down in this room. The whole studio became a refreshing world theater. Lacquered sheet metal shone in the morning light, the assembled materials told their stories, the stored works gave back self-confidence. What actually happened? The disturbing news about the Russian invasion of Ukraine, the upcoming political and even ideological changes, and and and… The depressing corona developments, economic developments and labor disputes that had been depressing for days before faded into the background. However, the whole thing called my art system into question and highlighted the inability to include such themes. Realizing that was liberating. I was able to look ahead again and continue to work with momentum. I arranged the pending work in the form of a still life and used it as a „trampoline“ for the next big task of designing a wonderful piece of lime tree. Today I made the first blows with the chisel and penetrated through bark and bast to the fragrant linden wood. The system malfunction is now a thing of the past.