Wissen als künstlerische Behinderung?(art77blog.axel-von-criegern.de Nr.230)

Jan Steen, „Die Arztvisite“ (rechtes Bild), Axel von Criegern, Farbstifte auf Zeichenkarton nach Steens Bild©️2020.

Beim Blättern im unerreichten Katalog : Jan Steen, Maler und Erzähler, (Stuttgart, Amsterdam, Washington )fiel mir eine „Arztvisite“ (um 1661-1662, Wellington Museum,London, Abb.16) ins Auge. Das Motiv der „Liebeskranken“ war im 17. Jahrhundert in der Malerei aber auch Literatur und Theater ( u.a.Moliere ) sehr verbreitet. Für den Spötter Steen eine wunderbare Gelegenheit unsere menschlichen Schwächen aufs Korn zu nehmen. Ich habe zwar brav den Begleittext gelesen, aber es war die künstlerische Qualität des Bildes, die mich berührte und zu einer spontanen‘„Antwort“ mit Buntstiften bewegte. Das Rot des mit dem Rücken zu uns stehenden Stuhls ist die „Farbattraktion“ . An sie schließen der Blau-Gelb-Kontrast von Rock und Bluse der Magd und das changierende, kühlere Blau im Rock der herzerweichend leidenden jungen Herrin an. Von dem Rot ausgehend knüpfte ich einen Flickenteppich. Bemerkenswert finde, ich dass mir im Zusammenwirken von besonderem Bildwissen und produktiver Bild-Auseinandersetzung die fehlende Erwähnung der dunklen Bettvorhänge im Text aufstieß. Ein in Steens Bildern wichtiges Requisit. Als ich am nächsten Tag meinen Teppich weiter knüpfte, wollte ich wenigstens bildlich darauf eingehen. Nachträglich kann ich mit dem Ergebnis dieser Intervention nicht viel anfangen. Sie passt nicht zum Stil und Duktus des restlichen Bildes. Gleichzeitig kommen dann Zweifel, ob nicht doch ein solcher Akzent, ganz abgesehen vom amourösen „Tatort“, meinem Bild gut tut. Wie auch immer wird das bunte Farb-„Plätschern“ dadurch mit einem Paukenschlag unterbrochen.

English Summary
Sometimes I doubt whether my art history studies are good or not for my art. Actually happened that when I designed a study to Jan Steen ‚ „ a doctors visit“ (1661-62, Wellington Museum, London). Reading the text in the catalogue „Jan Steen. Painter and Storyteller“(Stuttgart, Amsterdam, Washington 1996) I missed a note on the huge dark bed in the background. Those beds were always a hint to the erotic meaning of a painting. Well, knowing this I emphasized this issue in my design. Whether for good or bad- I don’t know, it simply happened.

Kunst-Quarantäne (art77blog.axel-von-criegern.de Nr 229)

„Quarantäne“, Mischtechnik auf Zeichenkarton, 22×20 cm; ©️Axel von Criegern 2020.

Wir, das uralte Ehepaar, wurden von unseren Kindern unter häusliche Quarantäne gestellt. Vernünftig. Ich hatte zwar selbst schon meine geliebten Gespräche mit Freundinn*en auf der „Gass“ oder in Läden auf Abstand geführt, aber jetzt eben gar nicht mehr. Auch die Bildhauerei habe ich vor ein paar Tagen zurückgefahren. Da ich mich eh nicht wie ein Bulle fühlte, war das kein so großes Opfer. Aber jetzt? Programmwechsel: Zeichnen! Fast automatisch ging meine Feder über die Zeichenfläche. Bis zu einem bestimmten Punkt, dann erwischte mich auch hier die Quarantäne: Das Gefühl des Eingesperrtseins, eine Art von Langweile. Ich schaltete auf „Verzweiflungstäter“, nahm einen dicken weißen Acrylstift und malte die Mitte zu. Nun hatte ich wieder freie Bahn. Das Thema wuchs von alleine. Kein Meisterwerk, aber die Befriedigung darüber, dass die Kunst einen nicht im Stich lässt. Sie sucht sich und findet Wege. TRÖSTLICH!!!😉

English Summary

Our kids put us in quarantine: no public contacts, no shopping. Since I didn’t feel very strong I stopped woold carving and shifted to drawing. After a while I felt in an almost unknown way bored. With a white acrylic marker I painted upset over the middle of the drawing. It was a spontaneous reaction. The result was not at all satisfying, but it proved the reliability of art even in times of a pandemy.

Kunst ohne Handwerk? (art77blog. Nr.228 axel-von-criegern.de.)



5 Klangobjekte 2019/ 2020©️axel von criegern

In der Schlussphase der Bearbeitung von fünf kleinen Klang-Objekten aus Holz wurden Feinheiten so wichtig, dass sich die Frage nach der Bedeutung des Handwerks aufdrängte. Eine große Rolle spielte dabei die Begegnung mit der Geigenbau-Meisterin Almut Schubert und dem Bogenbau-Meister Michele Facchino. Anders als bei vielen Handwerkerinnen ist bei ihnen ihr Können und Wissen Lebensinhalt und nicht Mittel zur Gestaltung des Lebens „außerhalb“.
Wie selbstverständlich gingen diese Beobachtungen und Gespräche in meine Arbeit ein. Was ich als Qualitätssteigerung bemerkte, könnte man modern als „Achtsamkeit“ oder gesteigerte Konzentration bezeichnen – zum Guten meiner Klangobjekte. Das hat nichts mit #Kunsthandwerk zu tun und auch die historischen Bewegungen des #arts&craft und #Bauhaus bleiben hier vor der Tür. In einigen der 227 Beiträge von art77blog habe ich diese Themen allerdings bereits angeschnitten.
# Vergl. auch Axel von Criegern „Kunsthandwerk, Kunsttheorie, Ästhetik- ein gespanntes Verhältnis.“ In: Bundesverband Kunsthandwerk e.V. (Hrsg.) Bestandsaufnahme Kunsthandwerk, Frankfurt 1989.

English Summary
In times of „anything goes“ craftmanship is not seriously discussed. But my latest experience with wood carving taught me that this is by no ways generally true. I got a lot learning from masters of violin- and bowmakers in the neighbourhood.

„Es ist der Klang…“ (art77blog Nr 227)

o.T. Mahagoni geölt, ©️Axel von Criegern 2020

Auf der HomePage des Geigenbauermeisters # Martin Schleske (Schleske.de) fand ich einen sehr klärenden Gedanken. Er nennt seine neuen Instrumente „Kunstwerke“ und betont dann aber
, dass das Kunstwerk nicht „die augenscheinliche Skulptur“ auf seiner Werkbank sei. Das eigentliche Kunstwerk sei vielmehr „der Klang, der in seiner Modulierbarkeit aus gut herausgearbeiteten Resonanzen schöpft.“ Das ist aus der Sicht des Geigenbauers nachvollziehbar, zeigt mir aber die Grenzen meines Projekts in scharfem Licht. Mir geht es nicht um Modulationen „aus gut herausgearbeiteten Resonanzen“, sondern um die „augenscheinliche Skulptur“. Von „gut herausgearbeiteten Resonanzen“ meiner Formen wird nie die Rede sein können. Wenn eine Form plastisch gut ist und im skulpturalen Zusammenhang ihren Platz findet, werde ich höchst zufrieden sein. Und wenn sie beim Klopfen erträgliche Resonanzen zeigt, sogar , beglückt lauschen. Aber dieses Glück bedeutete Apoll herauszufordern. Also Finger weg!

English Summary
On the homepage of a wellknown violin maker I found a helpful definition of ‚artwork’. Not the visible parts of a wellmade violin is the art work, but its sound. This is certainly not the art I strive for .