Mein steiniger Weg zu Johann Sebastian B. (Nr. 118)

Bach intim. My brushes. ©AVC 2018
Bach-Blech; Arbeitsfoto. ©AVC 2018

Seit Wochen geistert J.B. Bach in meinem Kopf herum. Offensichtlich etwas leichtsinnig habe ich mich für eine Gruppenaustellung im Rahmen des Tübinger Bachfestes 2018 gemeldet. Nach dem Motto „ich höre beim Arbeiten sowieso immer Musik…“ hatte ich mir dabei nichts böses gedacht.  Nach einigen Recherchen und zeichnerischen Annäherungen, die aber nicht vielversprechend waren, habe ich es mit meinem strukturalistischen  „Hauptprogramm“ versucht.

Zwar fühle ich mich jetzt redlicher und seriöser, aber keineswegs auf der sicheren Seite. Vorgestern habe  ich wie oft ein Blechbild ohne inhaltliches Thema ausser dem Vorsatz ein gutes Bild zu schneiden, begonnen. Gestern habe ich dann nach einem kurzen Gespräch  mit einer Bach-begeisterten Freundin versucht beim Schneiden an Bach zu denken und dabei die Sonaten 3 und 4 für Violincello gehört. Aber das Schneiden und das Hören verbanden sich nicht und fanden nicht zueinander. Heute Vormittag habe ich auch noch eine befreundete Pianistin zu ihrer Bach -Meinung befragt. Sie reagierte fast ehrfürchtig vor der ungeheuren Leistung des Meisters. Er sei „zeitlos“. Dabei ließ sie durchblicken, dass mein Musikverständnis wohl letztlich über die jugendliche Romantik-Begeisterung nicht weit hinausgekommen sei.

Nachmittags im Atelier 3 Stunden Blech und 3 Stunden Bach -die Brandenburgischen Konzerte 4,5,6. Drei mal angehört. Die Konzerte gewannen stellenweise Ohrwurm-Qualität; andere Passagen klangen plötzlich unerwartet modern.Meine Schnitte begannen den Rhythmus aufzunehmen. Sie machten ihn sich zu eigen. Als ob das Blech auf die Bachschen Frequenzen antworten würde. Wahrscheinlich ist das schon wieder ein romantischer Zugang. Morgen wird sich zeigen, ob das Ganze nicht ein „Wunschkonzert“ war. Mein Weg zu JSB ist jedenfalls im biblischen Sinne ganz schön steinig und dornig. Aber das soll ja der Weg der Tugend sein.

English summary

Art doesn‘t come easy! I applied for a show with the subject „Johann Sebastian Bach“. Once admitted I realized soon how difficult the work would be. My first approach after some research was an illustrative one- and I failed. This is more stuff for an essay but not for a show referring to one of the giants of music history. Next I tried to work cutting metal sheets for a kind of relief, a technique, which I had practiced already a couple of times before. Something amazing happened while I listened to the „Brandenburgische Konzerte“. Between metal and Bach a spiritual relation seemed to grow. The result was far away from satisfying, but I had the feeling to come closer to the music. So I will go on studying Bach as a plumber.

 

Bebenhausen (Nr.87)

 

„Geistliche Musik in der Klosterkirche; Sonntag, 9.Juli 2017: „Von Bach bis   Brasilien“  Werke von Bach, Villa-Lobos u.a.  Mateus Dela Fonte (Gitarre),

Manfred Harm (Liturg)

Das Kloster Bebenhausen ‚ vor den Toren Tübingens‘ ist zum Glück in seiner Expansion früh gebremst worden und ist für mich ein Ort tiefen Friedens. Es könnte auch der Ort für eine Reihe von romantischen Kloster- Romanen in der Nachfolge von Umberto Ecos „Der Name der Rose “ sein: An Stelle der Benediktiner waren es hier die Zisterzienser. Ein bisschen von deren strengen Ordensregel meint man noch zu spüren. Sichtbar ist die für ihre Schlichtheit und Präzision berühmte Baukunst. Der als Zugeständnis gedachte Dachreiter der Klosterkirche  ist hier allerdings zu Beginn des  14.Jahrhunderts zu einem betörend eleganten und leichten Vierungsturm mutiert und das ebenfalls zu dieser Zeit entstandene Westfenster hat mit Strenge nichts mehr zu tun. Und überhaupt war der ehemals  asketische Reformorden längst wohlhabend und auch mächtig geworden. Eine Zeitlang soll ihm sogar die Stadt Tübingen gehört haben.

Ein Gitarrenkonzert vor vierzehn Tagen lockte mich und meine Frau ins Kloster. Wir bummelten gemütlich unter der Wehrmauer zum Fischteich, hinauf zum Wehrgang, Friedhof  und ins Kräutergärtlein. Für mich ist es immer wieder ein merkwürdiges Gefühl das amputierte Langhaus zu betreten .Ich ergänze in Gedanken die in der Reformation abgerissenen Joche und versuche mir den eindrucksvollen romanischen Bau vorzustellen. Wir fanden Sitzplätze in der Mitte mit Blick auf die herzerfrischend rustikale und stark farbig gefasste Kanzel im Stil der deutschen Renaissance. Ich fand es spannend, über uns einen romanischen ‚Klötzchen-Fries‘ zu entdecken, der vor der Kanzel abbrach, um dann doch mit wesentlich größeren Holz-Klötzchen unter der Brüstung der Kanzel weitergeführt zu werden.  Wie weit das bewusst gestaltet wurde oder, nicht spielte für mich in dem Moment keine große Rolle für mich.(Skizze 1).

Inzwischen betrat ein junger Mann mit seiner Gitarre durchs Seitenschiff aus Richtung des Kreuzgangs die Kirche und nahm vor uns Besuchern auf seinem Stuhl Platz. Natürlich hatte er für seinen linken Fuß die übliche Stütze dabei (das zum Verständnis der Skizzen).  Seitdem ich den alten Segovia im Konzert erlebt habe und nach früher Flamenco-Begeisterung habe ich eine große Liebe zu diesem Instrument. Von meiner Musikalität würde ich behaupten, daß sie als Freude da ist, als Kennerschaft aber nicht. Drei qualvolle Jahre Violinunterricht waren keine gute Basis. Aber jeder musikähnliche Lärm zieht mich magisch an. Jedenfalls war ich hin und weg und war mit einem kleineren Teil des Publikums, das verhalten zu klatschen begann, beleidigt, als ein ernster Mann von schräg oben hinter dem Musiker darum bat, bis zum Ende der Veranstaltung nicht mehr zu applaudieren. Das war der Liturg. Zugegebenerweise habe ich noch nie von einem solchen gehört. Aber es war ja „Geistliche Musik“ angekündigt. Was er las, waren Psalmen und vertraute Texte. Stellenweise schien es mir, als wenn die leidenschaftlichen, spanischen und brasilianischen Rhytmen und Läufe geradezu die fromme  Feierlichkeit unterwanderten. In der Skizze 2  habe ich versucht, der von mir empfundenen Diskrepanz angemessen dezent Ausdruck zu verleihen. Das Schlussstück von Joao Pernambuco und die Zugabe vor dem großen Chorfenster mit seinem eleganten Maßwerk (Skizze 3) erhoben sich wunderbar unverschämt über die protestantisch-zisterzensische Askese und verschafften mir ein seltenes synästhetisches Erlebnis. Ich mag es eben, wenn es in der „Kultur“ knistert, Risse und Widersprühe erlebbar werden.