Als ich neulich zum ersten Mal im Museum Segantini in St. Moritz war, verstand ich, warum dieser bedeutende Künstler in ‚meiner ‚ Kunstgeschichte keinen würdigen Platz bekommen hatte. Es ist seine Feierlichkeit, die so gar nicht in meine Spielwelt passt. Der Museumsbesuch war erhellend . Wie vielen Zeitgenossen war auch für den 1858 geborenen Segantini die Ästhetik des Lichts die große Herausforderung .Darin ist er den Pointillisten und Nachimpressionisten verwandt. Aber es geht ihm nicht um optische Phänomene sondern um das Feiern des innigen Verhältnisses von Licht und Natur. Dazu kommt ein Propheten- Habitus, der sich in symbolistischen Verformungen und in der demonstrativen Nebenrolle der Figuren äußert. Seine eigentliche Symbolkraft stecken im gemalten Grashalm, im Felsblock, oder in Schaf, Kuh und Himmel. Das wird einem vollends klar wenn man in die Rotunde hinaufsteigt und sich dem starken Triptychon, das den Kern eines geplanten siebenteiligen Zyklus bildet, gegenüber sieht. Die Natur selbst wird zur Passion. Die Menschen sind Rollenträger und sollen zur Demut vor Natur und Schöpfung aufrufen.
Im Fall seines frühen Todes bekam Segantinis Neigung zum Eremiten etwas Makabres. Er hatte sich auf dem Schafberg oberhalb von Pontresina in einer Hütte ein Atelier eingerichtet und arbeitete dort in aller Abgeschiedenheit an besagtem Triptychon. Als er Leibschmerzen verspürte, konnte er nicht wissen, dass sich damit ein Darm- Durchbruch ankündigte. Niemand konnte ihm dort oben zu Hilfe kommen, selbst ein befreundeter Arzt nicht und so starb er mit 40 Jahren hoch geschätzt in seinen Bergen. Auch der jüngere Freund Giovanni Giacometti stieg zur Hütte auf, konnte aber letztlich nur noch den Toten porträtieren.
Als wir am Tag nach dem Museumsbesuch über den Bernina-Pass weiter in den Süden fuhren und das Weiß des ewigen Schnees in „seinem“ blauen Himmel explodieren sahen, konnte ich für einen Moment das Segantini-Feeling spüren . Die englische Sprache kennt dafür das schöne alte Wort „awsome“.Von der nicht zu bändigenden Macht dieser Natur bekamen wir auch noch etwas mit. Drüben, ein paar Kilometer weiter, in Richtung Maloja, wo Segantini sein eigentliches Atelier hatte, dessen Rotunde in dem Museumsbau zitiert wird, war in der Nacht zuvor eine gewaltige Geröll-Lawine ins Tal abgegangen, hatte die Strasse verschüttet und Menschen in den Tod gerissen.
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Lieber Michel, Du hast mir mit Deinem Kommentar eine grosse Freude gemacht. Angesichts der sintflutartigen Welt-Kunstproduktion befallen mich gelegentlich Zweifel ob ich mit meinen leicht beckmessernden Beobachtungen überhaupt einen Platz finde. Freundschaftlicher Zuspruch und Kritik tun da gut! Herzlich, Axel
Sehr spannend, lieber Axel, dein art77blog. Auguri Auguri!
Mit den besten Michel-Grüßen